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Feuilleton-Kritik

Wenn Cons in der FAZ rezensiert würden:


Historismus als Utopie

Sim Con in Bad Berleburg wirft Fragen auf

„Das Beste, was wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt.“ referierte der Geheimrat in seinen Maximen. So ist das nun mal mit der Historie – Verklärung macht sie erträglich; die Geschichte, und wohl auch die kürzliche Inszenierung von „Das Schweigen der Lilien“. Unter Federführung von Rene Jüngst und Marc Knippen wurden geladene Gäste vergangenen Monat Zeuge einer Darbietung, wie sie widersprüchlicher nicht sein konnte.

Das Ensemble überrascht in überschaubarer Besetzung, die nicht so recht zur epischen Breite des Sujets passen möchte. Immerhin erzählen Jüngst und Knippen hier die Geschichte eines Krieges, und obwohl der Konflikt in dieser Episode noch präludiert, schreitet man bereits gewichtig zur Tat. Die Exposition der Pro- und Antagonisten gibt sich ambivalent. Heinz Kreienbaum brilliert als hadernder Thierry de Montparnasse, der eidgebunden und vom Treueschwur belastet gar nicht anders kann, als seinem Herrn zu folgen. Überhaupt ist Montparnasse eine der interessantesten Rollen, den die burgundische Antagonisten-Entourage zu bieten hat. Kreienbaum gibt der Gebrochenheit Methode – und schenkt ihr gleichsam nie gekannte Intensität. Auch Hagen Hoffmann überzeugt als von Wissensdurst zerfressener Alchimist, ein Anti-Faust, dem mit Chaseralle (Ute Kleffner) eine ebenbürtige Gespielin zu Seite gestellt wird.

Bei derart glänzender Darstellung machiavellistischer Verderbnis ist es mehr als verständlich, das der Blick auf die Helden getrübt scheint – in Wahrheit ist es noch viel ernüchternder.

Routine und Modernität

Es gemahnt beinahe an alternde Routine, wenn selbst zum Schnelltod bestimmte Statistenrollen müden und dramatisch schmal präsentierten ZauberInnen die Publikumsgunst entziehen. Der verblichene Glanz einstmals prachtvoller Koryphäen gibt dem Drama eine fahle Färbung. Wenig Sinn für Spannung und Situation lassen ambitionierte Szenen im Sande verlaufen, und manch einer mag sich nach halbseidenem Un-Monolog an abgehalfterte Operndoyens erinnert fühlen, die das Aufkeimen neuer Talente nicht verkraften, nicht wahrhaben wollen. Die Callas spricht weise: „Das Publikum klatscht nicht für das, was einmal war.“

Und doch gibt es Lichtblicke. Grischa Kiesrau beispielsweise, der als Lucius, eine starke Rolle voll Ausdruck und innerem Pathos, mehr als zu überzeugen weiß. Mit Lucius hat Montparnasse einen ebenbürtigen Gegner – der sogar als Verbündeter scheint, wenn er am Ende die Erfüllung gewährleistet. Lucius’ Kampf gegen die äußere Gegenmacht ist daher auch ein innerseelischer Konflikt: da ist einerseits der Krieg mit Frankreich, dessen Widersacher Burgund der junge Glaubenskrieger verbunden ist, und auf der anderen Seite der moralische Zwiespalt, Ehre auch seinem Gegner zu Teil werden zu lassen.

Ein weiterer Wermutstropfen im epischen Sujet ist die annähernde Modernität. Die Rivalen werden in diesem Polit-Ungetüm als hobbesianische Vertrags-Staaten gedacht, in ihrer Autonomie und Bürokratie eher an moderne Nationalgebilde erinnernde Antipoden, eine Auslegung die so gar nicht mit dem Hintergrund des burgund-französischen Konflikts des 15. Jahrhunderts harmonieren mag. Dass Kriege historisch akkurat, und trotzdem dramatisch ansprechend inszenierbar sind, bewiesen bereits 1999 Williams und Aschöwer mit ihrem viel gerühmten Ravensberg-Epos. Letztendlich ein zweischneidiges Schwert; einerseits strotzt das Libretto vor dramatischen Klischees, die beim genaueren Hinsehen aber doch eher Reminiszenzen als wirkliche Epigonie erkennen lassen: So ist der finstre, gutbeschurkte Drahtzieher mit mystischen Kräften sicherlich romantischer Topos – in seiner Ausführung als Alchimist jedoch gelungene (weil seltenere) Variante. Auch die Ritter – in ihren Affekten allesamt durch und durch romantisch – überraschen mit ungewöhnlicher Tiefe.

Inszenierung und Krise

Andererseits, und dies ist der Interpretation der Protagonisten zu schulden, offenbart sich in Das Schweigen der Lilien ein grundsätzliches Problem der Gattung Larp: die Degeneration der Handlung durch blasiertes, undramatisches Rollenspiel, das in seinem ernüchternden Pragmatismus jede aufstrebende Epik im Keim erstickt.

Da kann auch nicht mehr von goetheschem Geschichts-Enthusiasmus die Rede sein, wenn eine das Leben unmittelbar bedrohende Situation durch zeit- und rollenungemäße Dialoge derartig bagatellisiert wird, dass jedwedes Vergnügen der Anspannung stante pede annulliert wird. Ein nicht zu verachtender Punkt mag in dieser Sache sicherlich das strikte Dirigat auf Intendantenseite gewesen sein. Omnipräsent geben sich Leitung und Organisation, oftmals durch unnötige Regieanweisung komplizierend. Dieses Autonomie-Problem ist aber kein einseitiges: Was sich als freie Ausgestaltung der Antagonisten geradezu anbietet, wird vom Impressario mit dauernder Präsenz unterbunden. Frankreich scheint passiv, die Soldaten geraten trotz Ambition zur Staffage.

Schließlich fällt der Vorhang, und was bleibt, sind Fragen. Wird der erste Akt halten, was an Epik die Overtüre recht vollmundig versprach? Werden die Fehler und Schwächen ausgemerzt? Das Sujet ist zu interessant, um es halbherzig dem populistischen Semidrama zu opfern. Um beim großen Weimarer Gelehrten zu bleiben: „Bei jedem Kunstwerk, groß und klein, bis aufs kleinste kommt alles auf die Konzeption an.“


Autoren: DanielJ (7.1.2008 - eigentlich aber schon irgendwann 2006)
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