Über die Durchschlagskraft von Pfeilen und Bolzen herrscht größere Konfusion (und auch ein immerwährender Streit, was denn was durchschlägt). Im Voraus: Rüstungen sind schwieriger zu durchschlagen, als man denkt.
Kettenhemden
Es gibt einige Beschusstests von Kettenhemden. Fazit: Unvernietete Kettenhemden bieten extrem wenig Schutz gegen Pfeile und fast überhaupt keinen gegen Bolzen. Vernietete Kettenhemden können gegen Pfeile und leichtere Armbrüste (solche, die sich noch ohne Winde spannen lässen) einigen Schutz bieten.
Beschusstest unvernietes Kettenhemd(ToterLink) mit einer Armbrust mit 85kg Zug
Beschusstest Kettenhemden mit einem Bogen mit 16kg Zug
Beschusstest Kettenhemden mit einer Armbrust mit 125kg Zug (per Steigbügel und Haken am Gurt spannbar).
Diverse Beschusstests mit Bogen vor allem gegen früh- bis hochmittelalterliche Schilde und Rüstungen.
- mms://zdf.video.t-online.de/040331_langbogen_h.wmv ZDF-Video mit Bogenbeschusstests gegen ein Stahlblech.
Armbrust gegen Kettenhemd und Gamebson Mit einer 130kg Armbrust, 13Jh.
Plattenrüstung
Der einzige Beschusstest, den ich miterlebt habe und von dem Bildmaterial auf dem Netz verfügbar ist, ist der des Ceridischen Artilleriefähnleins.
Aufbau: Standard-Scheibenbolzen (konisch) aus 5-6m Entfernung auf eine 2mm dicke selbstgebaute Brustplatte aus handelsüblichem und nicht gehärteten Tiefziehblech. Abgeschossen mit einer nur per Winde spannbaren Armbrust von etwa 250 Kilogramm Zugkraft.
Ergebnis: Einschlag von ca. 2cm Tiefe. Platte nicht durchstoßen. Damit wäre die Platte aber beim Beschusstest einer mittelalterlichen Plattnergilde durchgefallen.
Bedenken: Dadurch, dass die Platte weder gehärtet ist noch in der Dicke variiert, ist sie nicht mit einer mittelalterlichen Platte vergleichbar. Durch die Verwendung eines Scheibenbolzens statt eines Bolzens mit Bodkinspitze ist auch der Bolzen nicht mit einem mittelalterlichen Bolzen vergleichbar.
Fazit: Platte bietet einigen Schutz gegen Bolzen, vermutlich auch gegen mit relativ schweren Armbrüsten abgefeuerte Bolzen. Es erscheint unlogisch, dass ein Pfeil von einem Langbogen mit 50kg Zugkraft einer Platte groß was anhaben kann.
Armbrust gegen Platte (ToterLink) Hier mit einer 416kg Armbrust gegen eine Platte des ausgehenden 15Jh. Bolzen sowie Platte sind Repliken in originaler Härte. Wohl der härteste Hinweis dass Platte sehr wohl auch einer extrem schweren Armbrust widersteht.
Aber Agincourt ...?
Warum der Bogen trotzdem eine interessante Kriegswaffe ist? Die Masse machts. Ein englischer Langbogenschütze hatte ein Sheaf Pfeile dabei (36) und kann laut Quellen innert einer Minute 12 Pfeile verschießen. Sprich, 5000 walisische Bogenschützen hauen innert einer Minute mal lockere 60'000 Pfeile raus. Drei Minuten lang. Wieviele davon treffen etwas, das ungepanzert oder zu wenig gepanzert ist? Wieviele davon Pferde?
Es gibt seit 1992 eine vieldiskutierte Studie von Peter N. Jones: "The Metallography and Relative Effectiveness of Arrowheads and Armor During the Middle Ages." in "Materials Characterization", Ausg. 29, S. 111-117 bei Elsevier Science Publishing Co., Inc., 655 Avenue of the Americas, New York, NY 10010 (eine materialwissenschaftliche Abhandlung). Demnach waren im Gegensatz zur weitläufigen Meinung englische Pfeile generell nicht dazu in der Lage, die Platterüstungen der damaligen Zeit (Agincourt, oder besser Azincourt, 1415) zu durchschlagen. Die Schlacht ging für die Franzosen wohl vor allem deshalb verloren, weil der Angriff über einen extrem matschigen Acker führte. Azincourt kennzeichnet nach Crecy (1346) und Poitiers (1356) wohl eher das Ende als den Anfang der Ära der Bogenschützen als schlachtentscheidender Waffe. Im selben Artikel detailliert Jones die Entwicklung der Rüstungsmaterialen mit einer bis ins 16. Jhdt. ständig zunehmenden Härte des Stahls (nicht zu vergleichen mit dem ungehärteten Eisenblech von LARP-Rüstungen ...), der im Laufe der Entwicklung dadurch immer weniger anfällig für Pfeile wurde.
Auch schon bei Azincourt und früher waren weitere Faktoren wie Entfernung, Auftreffwinkel, Form und vor allem Härte der Pfeilspitze mitentscheidend, sowie vor allem natürlich der Ort des Treffers. Ein Pfeil, der einen 3mm Helm unmöglich und einen 2mm Brustpanzer kaum durchschlagen kann, geht u.U. durch eine 1mm starke Arm- oder Beinpanzerung wie durch Butter.
Verletzungen
Physik
Wer mag kann sich so Dinge natürlich auch ausrechnen.
Und im Spiel?
Es bleibt die Frage, wie das im Spiel gehandhabt werden soll. Im Wesentlichen gibt es wohl folgende Optionen:
- Bolzen und Pfeile durchschlagen nur ungenietete Kettenhemden und alles, was leichter ist.
- Bolzen und Pfeile durchschlagen grundsätzlich Kettenhemden (weil genietete selten sind).
- Bolzen und Pfeile durchschlagen grundsätzlich Kettenhemden, nicht aber den darunter getragenen Gambeson. Damit wird Kette über T-Shirt abgewertet.
- Bolzen und Pfeile durchschlagen alles (weil es zu wenig Bogenschützen gibt, Larppfeile zu teuer sind und zu groß, um 36 davon mitnehmen zu können).
Nach gusto suche man sich etwas aus; die Anlehnung an die Realität muss nicht der einzige Grund sein, irgendetwas in einer bestimmten Form zu regeln. Aber zumindest sollte man sich bewusst sein, ob das, was man als Regel propagiert, sich an der Realität orientiert oder an irgendwelchen Fantasyromanen/-spielen.
Weiterführendes
-- SeeGras, NameEntfernt
Nachtrag (Michael Mittag):
Es ging in der mittelalterlichen Kriegsführung nicht primär darum, welche Waffe jetzt genau eine Plattenrüstung durchschlägt (auch, wenn das immer wieder Diskussionsthema Nummer 1 ist). Eigentlich ging es nur darum, möglichst billig irgendwas auf das Feld zu stellen, das mit einem Ritterangriff klarkommt. Die einfachste Variante ist die eidgenössische: Soldaten, die nicht weglaufen. Pferde galoppieren nun mal nicht in Menschenmassen hinein, sondern bleiben präzise vor dem Hindernis stehen. Ansonsten funktioniert auch alles, was ein Pferd aufhalten kann: Pfeile, Bolzen, Kugeln, Spieße, Bajonette ...
Und noch ein Nachtrag mit Exkurs zur Gegenwart
Es kommt theoretisch nicht darauf an, einen Gegner zu töten, sondern ihn kampfunfähig zu machen - was durch das Töten allerdings meist am einfachsten und nachhaltigsten zu bewerkstelligen ist. Ein Ritter ohne Pferd, womöglich auf dem Rücken liegend, wird für den Fußsoldaten zur leichten Beute. Es kommt ein einfacher taktischer Grundsatz zum Tragen: Greife den Gegner dort an, wo er schwach ist. Und das ist der vom Pferd gestoßene Ritter ganz gewiss.
Wenn vom Angriff an den Schwachstellen die Rede ist, scheinen sich auch Vergleiche mit dem Kampf moderner Infanterie gegen gepanzerte Fahrzeuge aufzudrängen. Jedoch sind moderne Kriegsgeräte wie Abrams oder Leopard II Panzer nicht so "leicht" auszutricksen, wie Spielberg es in "Der Soldat James Ryan" mit Panther- und Tiger-Panzern inszeniert. Dafür besitzt ein Infanterist von heute sehr wohl Waffen, die einen Panzer effizient ausschalten können. Aber das ist ein ganz anderes Thema.
-ChristianK, bearbeitet von DutchVanLeuwen