Die Banner der beiden Heere flatterten im Frühlingswind.
Die wolkowischen Aufrührer hatten sich hier, unterhalb der Festung, die die Straße zum Pass und damit zum Landesinneren überwachte, gesammelt, um einem Mann zu folgen, der ihnen die Freiheit verhieß. Der erste Schritt zurück in diese Freiheit sollte die Schlacht hier gegen die lyrischen Besatzer und ihre Beilsteiner Verbündeten werden, der Fall der Festung, in der diese sich verschanzt hatten.
Zwei Delegationen bewegten sich langsam, lauernd, auf dem Felde vor der Festung aufeinander zu. In der Sonne gleißende Rüstungen, in geordnetem Vorgehen, unter prunkvollem Banner die einen aus dem Fort heraus, ungeordnet, aber entschlossen und verbissen die anderen, mit Säbeln, Spießen und Mistgabeln bewaffnet, ihrem Gospodin nach unter seinem Banner, auf die Festung zu.
Der lyrische Kommandant war ein guter, harter Soldat, seinem Herrn ergeben, und er unterschätzte keineswegs die Überzahl und die gefährliche Verzweiflung des Gegners. Dennoch, er hatte seine Männer hart gedrillt und er konnte sich auf seine Verbündeten, die Beilsteiner, verlassen. Er hatte die strategische Lage wohl durchdacht und tariert.
Er musste mit dem anderen reden. Die Sache würde blutig werden.
Der Gospodinowitsch hatte sich nicht anmerken lassen, wie enttäuscht er war. Er hatte mit mehr Leuten gerechnet, die seinem Aufruf hätten folgen sollen. Vielleicht war er doch zu sehr in der Deckung verblieben, vielleicht hatte er doch zu viele Zweifel an seiner selbst bestehen lassen. Vielleicht hätte er seinen Stolz überwinden, und mit den Schwertbrüdern reden sollen. Die Strelitzen hatten hart gearbeitet, aber die Leute, die sie ausbildeten, waren Bauern, Hirten, Handwerker, Spielleute. Jeder der gut gerüsteten und kampferprobten Soldaten im Fort konnte es mit mehreren von des Gospodins Leuten aufnehmen. Und er wusste nicht, ob und wie weit er den übergelaufenen Lyrischen Rittern trauen konnte, die doch zu seinen wenigen Hoffnungen in der bevorstehenden Schlacht zählten. Dennoch waren die Bauern entschlossen, sie hatten nichts mehr zu verlieren, und sie würden kämpfen, wie nur die kämpfen, die, in eine Ecke gedrängt, ihr Land und ihre Kinder verteidigen.
Er hatte die Lage wohl durchdacht und er wusste, wie viel er hier auf eine Karte setzte. Er hatte schon so viel Blut fließen sehen, und er wusste, hier würde es noch mehr werden. Vielleicht würde der andere einlenken.
Die beiden Delegationen trafen sich auf dem Felde, jede hatte, wie von den Unterhändlern vereinbart, zwei Bewaffnete dabei, die sich etwas abseits stellten, doch die Hand hatte jeder von ihnen am Schwertknauf, und es waren jeweils die Besten in ihrer Kunst. Noch hatte keiner ein Wort gesprochen, noch hatten die Schreiber ihre Federn nicht hervorgeholt, noch hatte man die Teppiche nicht ausgebreitet, noch hatten die Geistlichen ihre Gebete nicht begonnen.
Als der Bote geritten kam.
Daß er lange geritten war, konnte man sehen, er war über und über mit Staub und Dreck bedeckt. Er fiel geradezu von seinem schweißüberströmten, erschöpften Pferd und stolperte in die Runde, fiel zu Boden.
Seine Botschaft waren nur zwei Worte.
Jeder wusste nun, daß es keine Schlacht geben würde. Die Delegationen zogen sofort überstürzt, ohne auch nur ein Wort gewechselt zu haben, in ihre Lager zurück. Vereinzelt konnte man bald verzweifelte Schreie in den Lagern hören, und viele weinten. Jeder hatte sich auf das Entsetzten und die Grausamkeit der Schlacht, eines langen Krieges irgendwie vorbereitet. Niemand, in keinem der beiden Heerlager, hatte damit gerechnet, daß sie alle ein noch viel schlimmerer Schlag treffen könnte. Die Waffen waren vergessen.
Schon nach wenigen Augenblicken packten fast alle ihre Sachen, ein unüberschaubares Gewirr und Geschrei entstand, einige blieben aber nur fassungslos auf der Stelle sitzen. Einzelne rannten einfach schreiend davon. Die meisten der Wolkowen zogen in einem hastigen Zug Richtung Balinsky, viele aber eilten direkt zurück zu ihren Dörfern und Höfen, zu ihren Familien. Die Beilsteiner Garde zog noch vor der Abenddämmerung geschlossen und geordnet ab. Der lyrische Kommandant führte einen Teil seiner Gardisten in einem ebenso geordneten Zug Richtung Süden. Einige weigerten sich, mitzukommen, der Kommandant ließ sie gehen.
Niemand blieb im Fort oder im Lager der Aufständischen. Die Feuerstellen verloschen langsam und dünne Rauchschwaden verloren sich zwischen den vordem hastig errichteten Palisaden. Der Bote lag immer noch an der Stelle im Gras, zwischen den beiden Lagern, wo er vom Pferd gefallen war.
***
Der Patriarch, der höchste Würdenträger der Ceridischen Kirche, Stellvertreter des Eynen auf Erden, seine personifizierte Heiligkeit. Er nickte kurz, mit ernstem Gesicht, wie er es oft tat, wenn ihm eine wichtige Botschaft überbracht wurde. Er zeigte weiter keine Reaktion, wo doch zumindest diesmal die versammelten Kardinäle der Kurie eine erwartet hätten. Aber der Patriarch nickte nur, als ob er es längst gewusst hätte, und er hob nur kurz die Hand, zu bedeuten, daß die Vertreter der Kurie schon wüssten, was zu tun sei. Dann zog er sich wortlos zurück.
Die versammelten Kardinäle erhoben sich mit ihm und erwiesen ihm still die übliche Hochachtung, aber als sich die Tür hinter dem Patriarchen schloss, redeten sie sofort durcheinander. Sie waren alle noch fassungslos.
"Wie konnte der Eyne uns nur so strafen!" "Nicht der Eyne - Dies kann nur das Werk des Unaussprechlichen selbst sein!" "Vergesst nicht die Sache vor gut einem Jahr, als es hieß, daß der letzte der Neun in Friedland freikam"
Appolonius, der Kardinalskurator, seinerseits Stellvertreter des Patriarchen, Haupt des bedeutendsten der Orden, dem der Hilarusiten, blickte ruhig und ernst seinem Gegenüber, Kardinal Sitorius, dem obersten Bannkreuzer, in die Augen. Sie waren nicht gerade Freunde, und hatten schon so manchen konkurrenzhaften Streit in der Kurie ausgefochten, aber diesmal nahm Appolonius Anteil am Leid des Konkurrenten. In dessen Augen und seinem, von den Lasten der Verantwortung aber auch von seiner asketischen Lebensweise und den vielen selbstauferlegten Bußen gezeichneten Gesicht konnte er die Bestürzung und die Vorwürfe sehen, die Sitorius, der einst Gönner des Friedländischen Fürstbischofs gewesen war, und ihn stets hatte walten lassen, sich machte. "Ich hätte diese Buße gerne selbst auf mich genommen." sagte Sitorius leise.
In der darauf folgenden Stunde fasste die Kurie, in seltener Einigkeit, einige wichtige Beschlüsse, und schon bald ging ein geschäftiges Treiben im Praetorium Hilarii einher. Viele Boten verließen auf schnellen Pferden den Hauptsitz der Ceridischen Kirche, und auch viele Mönche, Nonnen, Schreiber und weiteres Personal machten sich reisefertig...
***
In Friedland reitet der Tod.
Die Pest war ausgebrochen. Aus dem Herzen Friedlands, von Bornburg aus, verbreitete sich die Seuche in nur wenigen Tagen fast im ganzen Land. Wie eine schwarze Welle spülte das grausame Elend über das ohnehin schwer gebeutelte Land. Medici und Wundärzte, Heiler und Geistliche bemühten sich vergeblich um die Erkrankten. Die Pestdoktoren trugen dunkle Gewänder, Handschuhe und Masken mit langen Schnäbeln. Helfen konnten sie nur wenigen, die meisten starben ihnen unter den Fingern weg. Jeden Tag hörte man über die Dörfer die Pestglocken läuten. Für jeden Verstorbenen ein Glockenschlag, mehr blieb nicht. Die Toten wurden aus ihren Häusern gezerrt, auf große Karren verladen, und von vermummten Gestalten, meist waren es die Mönche und Priester, zu den Pestgruben außerhalb der Städte gekarrt. Ein Dunst und Rauch lag über den Dörfern, in denen viele Häuser ausgebrannt wurden. Viele kleine Dörfer wurden von den Flüchtenden verlassen und standen nun leer.
Nur wenige Ortschaften und Weiler wurden verschont, obgleich sich in den Tälern westlich der Eisernen Rust, nahe Balinsky, die Krankheit nicht so verheerend auszubreiten schien, wie im Kernland. Nur wenige erkrankten in Balinsky selbst. Die Krankheit machte keinen Unterschied zwischen arm und reich, zwischen Lyrier und Wolkowe. Die weißen Kreuze, die besagten, daß in diesem Haus einer an der Pest gestorben war, wurden gleichermaßen an die Türen von Bauernhäusern, Handwerkerhütten, aber auch von Gildenhäusern, Burgen und Stadtpalästen gepinselt.
Eines der ersten erschien auf dem Eingangsportal des Kavelin-Palastes. Man wusste von keinem, der um den Tod des Fürstbischofs trauerte. Seine getreuen Speichellecker hatten schon nach den ersten Gerüchten den Palast schnellsten Fußes verlassen. Seine Doktoren reisten nach den ersten Anzeichen, die sie als die schwarze Krankheit erkennen mussten, eiligst vom Hofe ab. Er starb als einer der ersten, alleingelassen, denn Freunde hatte er keine mehr. In der Aufregung, der Not und der Angst, die jeden in Friedland ergriffen hatte, fand sich keine Zeit für ein feierliches Begräbnis. Nicht daß jemanden dies gestört hätte. Jeder sah nur zu, daß er seine eigene Haut retten konnte, und die seiner Familie.
Zwei Kammerdiener schleppten den Leichnam Edmunds einige Tage später nach draußen, und warfen ihn auf einen der vorbeifahrenden Pestwagen, nicht ohne ihm vorher die dicken goldenen Ringe von den starren Fingern zu ziehen.
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Nach wenigen Wochen nur schien der schwarze Reiter sich ausgetobt zu haben. Die Zahl derer, die sich wieder erholen konnten, nahm zu, nur noch vereinzelt kündeten die Glocken vom Tod. Wer die Krankheit überlebt hatte, blieb sein Leben gezeichnet, Narben und Flecken blieben auf dem Körper zurück und kaum einer kam jemals wieder richtig zu Kräften. Diejenigen Glücklichen, die sich nicht selbst angesteckt hatten, trugen dennoch ihre Narben davon, auf ihren Herzen. Denn jeder hatte zumindest einen Verwandten oder Nachbarn, Freund oder Bruder verloren. Und jeder hatte das Elend miterleben müssen.
Man begann wieder, die Dörfer aufzubauen, und sich um die Arbeit zu kümmern.
Kardinal Berengar, der eigentlich nach Friedland gekommen war, um im Auftrag der Kurie ein Auge auf die Machenschaften des Fürstbischofs zu werfen, hatte nach dessen Tod kommissarisch alle Amtsgeschäfte im Kavelin-Palast übernommen. Auch war es sein Verdienst, daß vor allem die Hilarusiten-Mönche sich aufopfernd in dieser Stunde der Not um die Kranken kümmerten, und um die Toten. Aber er hatte auch zwei andere Dinge gleich erkannt und in Angriff genommen. Zum einen war das Land nun seines, allen Unkenrufen zum Trotz starken Führers beraubt, und zum anderen gerade jetzt so gut wie schutzlos. Und das in einer Zeit, da sowieso ein Bürgerkrieg in Friedland am Ausbrechen war.
So war einer der ersten Beobachter, den er aussandte, einer, der ihm vom lyrischen Hofe berichten sollte. Und Berengar war nicht überrascht, als er erfahren musste, daß man dort die Ritter zusammenzog und ein Heer aufstellte. Der König von Lyrien wollte aber offenbar noch abwarten, bis die Gefahr der Krankheit in Friedland sich wieder gelegt hatte, um dann abermals in Friedland einzumarschieren, und einen seiner Grafen als neuen Fürsten in Friedland einzusetzen.
Der andere, den Berengar im Auge behielt, war der Anführer des Aufstandes, der Sohn des letzten Gospodins, Alexeij Radenow. Es war nicht mehr allzu schwierig, ihn ausfindig zu machen, auch wenn er vordem so sehr im Verdeckten operiert hatte, daß es allenthalben Zweifel gab, ob er tatsächlich noch am Leben sei. Aber im Feldlager der Wolkowen, von dem aus sie die Festung der Lyrier hatten stürmen wollen, hatte er sich gezeigt, mit seiner Garde, den Strelitzen, und Berengar hatte keinen Zweifel, daß er es tatsächlich war, und daß von ihm nach dieser schlimmen Zeit wieder Ärger drohte. Aber offenbar wollte auch der Gospodinowitsch die zweifelhafte, weil grausame Gunst der Stunde nicht für einen militärischen Schlag ausnutzen. Vielleicht war es auch nicht so weit her mit seiner "Armee", um die sich unter den Wolkowen die aberwitzigsten Gerüchte rankten. Wie dem auch sei, er hatte sich auf die kleine Burg Pron, in den Ausläufern der eisernen Rust mit seinen Strelitzen zurückgezogen und schien auch erst einmal abzuwarten. Einer seiner lyrischen Informanten hatte Berengar sogar von einem Gerücht erzählt, nachdem der Gospodinowitsch selbst an der Pest erkrankt war. Näheres war aber nicht in Erfahrung zu bringen.
Die schwarze Pest hatte, das sollte sich später herausstellen, fast ein Drittel der Friedländischen Bevölkerung in den Städten und Dörfern dahingerafft, in nur etwa zwei Monaten. Und auch wenn das schlimmste überstanden war, so sollten doch noch lange Zeit, wenn auch vereinzelt, in Friedland vor den Stadttoren Pestgräber ausgehoben werden.
Auch unter den lyrischen Adeligen, von denen sich zwar viele in ihren Burgen verschanzt hatten, was ihnen natürlich nichts nutzte, aber die Angst ist den Menschen selten ein guter Ratgeber, waren die Verluste groß, so daß viele Festungen in Friedland nun das zweite mal, nach der Lyrischen Besatzung, verwaist und verlassen auf den Hügeln standen.
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Der lyrische Herold kam an einem verregneten Hochsommertag in Bornburg an. Die Delegation, die prunkvoll ganz in Weis und lichtem Blau und in polierten Harnischen anritt, unter dem Flatternden Banner Lyriens, hatte den Auftrag, den Palast der Hauptstadt für den neuen lyrischen Fürsten vorzubereiten, und der Bevölkerung die förmliche Übernahme in das lyrische Königreich zu proklamieren.
Sie waren wenig verwundert ob des trostlosen Zustandes der Ländereien, durch die sie geritten waren, und sie hatten jeden Kontakt mit der Bevölkerung gescheut, stets die parfümierten seidenen Taschentücher vor Mund und Nase gehalten, wie es der Medikus, den sie eigens mit sich führten, ihnen angeraten hatte.
Verwundert aber waren sie über Bornburg. Die einst geschäftige Hauptstadt war so gut wie leergefegt. Vereinzelt wurden bei ihrem Zug durch die verlassenen, verrauchten Straßen von innen Fensterläden zugeschlagen, und vereinzelt sah man Ratten zwischen den leeren Häusern weghuschen, aber mehr gab es nicht an Lebenszeichen.
Es roch nach Tod.
Sie ritten durch das offene Tor vor den Palast und der Herold seufzte erleichtert auf, als sich tatsächlich die Türen öffneten, und ihm einige Mönche geschäftig entgegenkamen. Hinter ihnen, gemäßigten Schrittes, Kardinal Berengar, in Begleitung. Die kurze Unterredung fand noch auf den Treppen des Palastes statt, und nachdem man ihn von den neuerlichen Tatsachen unterrichtet hatte, blieb dem völlig verdutzten lyrischen Herold nichts übrig, außer hochroten Kopfes, unverrichteter Dinge, aber mit einem Brief von Berengar in der Hand wieder abzuziehen mit seiner Delegation in Richtung Heimat.
Berengar konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dieses eine Mal war tatsächlich nicht er, sondern die andern zu spät gekommen.
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Die erste Sitzung des neuen Rates fand im großen, festlich geschmückten Herrensaal des Bürgerhauses von Caspelbrunn statt. Dicht drängte sich eine stattlich Menge von festlich gekleideten und schmuckbehangenen Adeligen, Patriziern und Mönchen in dem großen, holzgetäfelten Saal, dessen Wände die ehrenvollen Wappen der Caspelbrunner Patrizier und Gildenhäuser trugen. Auch zeugt hie und da ein großer Fellhut von wolkowischen Bojaren unter den Versammelten. Diener und Standartenträger säumten die Wände, jeder war offenbar aufgeregt und alle redeten geschäftig durcheinander.
In der Mitte des Saales waren zwei lange Holztische gegenüber aufgestellt worden, die im Gegensatz zum Rest des prunkvollen Raumes schlicht und ungeschmückt blieben. An diesen Tafeln hatten die neuen Herrscher in Friedland Platz genommen.
Auf Berengars Geheiß war eine große Kirchendelegation nach Friedland gekommen, als die Pest noch schlimm wütete. In dieser Delegation fanden sich nicht nur Hilfsgüter, Doktoren und brave Mönche. Vor allem führte sie auch eine ganze Schar ceridischer Kirchenbeamter und Schreiber, sowie eine gut bewaffnete Kohorte Soldaten aus der Garde des Patriarchen. Sie alle waren der Tross für die fünf Vertreter der ceridischen Orden (den sechsten sollten sie vor Ort treffen), die gekommen waren, um künftig im Namen des Patriarchen, als Abgesandte der Kurie, das neu ausgerufene Kirchenprotektorat Friedland zu verwalten.
Somit hatte der Patriarch seine schützende Hand über das geschundene Land gelegt. Zugleich aber waren sich die Kirchenfürsten bewusst, daß der Lyrische König, der schon länger seine goldberingten Finger nach dem heiligen Land ausgestreckt hatte, dies übel aufnehmen würde. Doch waren ihm, als selbsternannter erster Verteidiger des Glaubens, die Hände gebunden.
Die Korrespondenz zwischen lyrischem Königshof und Praetorium Hilarii war frostiger geworden.
Nun saßen das neue Kollegium der Ceridischen Kirche in Friedland im Caspelbrunner Herrensaal einem erwählten Kreis von Vertretern des Friedländischen Adels gegenüber, denjenigen, die unter Federführung der Caspelbrunner Burggräfin Isabeau die Charta von Bornburg entworfen und verabschiedet hatten. Man hatte sich in zügigen Verhandlungen (denn auch der Adel wusste wohl, daß die Zeit drängte) geeinigt, daß die Verwaltung im Wesentlichen bei den Adeligen bleiben sollte, diese sich jedoch dem Kirchenkollegium als oberste Herrscherinstanz zu verantworten hatten. Die Reihen der ehemals lyrischen Adeligen waren aber ausgedünnt, nicht wenige hatte die schwarze Krankheit dahingerafft, aber auch viele ehemalige Verfechter und Anhänger des Fürstbischofs wollten, oder durften, nichts mit der neuen Ordnung zu tun haben, und hatten sich wieder zurück in die Arme ihres lyrischen Lehnsherren geworfen.
So fanden sich auch einige wolkowische Bojaren wieder im Kreise des Friedländischen Adels wieder, auch wenn diese wenigen sich sichtlich unwohl fühlten, und auch einige der Lyrier sie, ehemals ihre Untertanen, recht skeptisch beäugten. Ein Sitz in der Runde des Adelsrates allerdings blieb frei. Es war der neben der Caspelbrunner Gastgeberin, der Platz, der für den Gospodinowitsch reserviert war. Er blieb fern.
Dennoch herrschte eine Stimmung des Aufbruchs, eines Neuanfangs auf dieser ersten großen Zusammenkunft. Es wurden große Reden gehalten, und große Dokumente verlesen. Es wurde beraten, beschlossen und besiegelt. Und als die Versammlung, drei Tage später, für beendet erklärt wurde, gab es ein neues Friedland.
Mit einer neuen Zukunft. Und es sollte noch einiges geschehen...
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E p i l o g
Als das letzte Lied des Spielmanns verklungen war, blickte er noch einmal hinunter ins Tal. Von dem Stein aus, auf dem er saß, hier auf dem Hügel unter den schattigen Bäumen, konnte er das kleine Städtchen sehen, in dem die Menschlein geschäftig wie kleine Ameisen ihrem Tagwerk nachgingen, jeder einzelne mit seinen Sorgen und Nöten, jeder mit all seiner Traurigkeit aber auch all seiner Hoffnung und hie und da einem Lachen. Er konnte die Straße sehen, die vom Städtchen in die Berge führte und er sah die mächtigen Ausläufer des Gebirges und wusste um das Land das sich noch weit dahinter erstreckte.
Nur wenige der Menschlein wussten es, aber der Spielmann hatte seinen eigenen Teil beigetragen zum Schicksal dieses Landes, des Städtchens und der Menschen, einen nicht geringen Anteil, wie er mit etwas gesundem Stolz hätte anmerken können. Aber das tat er nicht, er blickte still hinunter ins Tal. Er wusste, daß für die Menschen unten im Tal eine neue Zeit angebrochen war, und er wusste, daß damit seine eigene hier ihr Ende gefunden hatte. An ihm lag es nun, in andere Länder aufzubrechen, neuen Abenteuern entgegen, und dieses Land hinter sich zu lassen. Sein sonst so schelmischer Blick war ernst in diesem Moment.
Schließlich schlang er seine Laute auf den Rücken, sprang von dem Stein hinunter und spazierte leichten Schrittes den überwachsenen Waldweg hinunter. Man hätte denken können, daß eine Träne sich von einem Augenwinkel auf seine Backe geschlichen hätte.
Aber schon nach wenigen Schritten tönte ein gepfiffenes Liedchen von seinen Lippen, als er den Weg hinunter, neuen Ländern entgegen wanderte....
(Im Gedenken an Christoph Abresch +2000)