Allgemeines
Der Knutepunkt 2005 (24.-27.02.2005) fand in Viubråtan, ca. 50 km nördlich von Oslo, statt.
Besucht haben den Knutepunkt 2005: BorisBernhard, Larson Kasper, Klaus Kann und SteveJordan
Tagungsbericht
Das Knutepunkt 2005 ist vorbei und kurz gefasst kann ich nur sagen: das muß man erlebt haben. Mein Kopf ist dermaßen voll mit Erlebnissen, Ideen und Inspirationen, daß ich echt nicht weiß wohin damit. Ich komme mir vor, wie jemand, der dachte, die Bilder aus einer Laterna Magica wären eine unglaubliche Erfahrung und den man dann in ein THX Großbildleinwandkino gesetzt hat und Cube, Dogville und Memento vorgespielt hat.
BorisBernhard hat den treffendsten Kommentar nach einer Panel-Diskussion dort zum Thema "Was ist LARP" gebracht: "Wenn mich das noch mal jemand fragt, sag ich nur: Ich hab keine Ahnung. Frag die!".
Nur als kleiner Einblick:
War on Reality - LARP als Methode zur Änderung gesellschaftlicher Realitäten (siehe http://interactingarts.org/)
LARP für Kinder - in Dänemark gibt es nach aktuellen Erhebungen ca. 30.000 Kinder zwischen 10 und 14, die regelmäßig LARP spielen - und eine Menge Leute, die damit Geld verdienen
Experimentelles LARP - man nehme 1,5 Tonnen Mehl, ein Dutzend Spieler in Unterwäsche und als Szenario Krebspatienten in einer Gruppentherapie
Prewritten Characters - Bei sehr vielen skandinavischen LARPs bekommen die Spieler ihre Charaktere von der Spielleitung gestellt (auch bei Spielen mit bis zu 200 Teilnehmern), in manchen Ländern sind Fortsetzungen nahezu unbekannt (also nur One-Shot Charaktere)
LARP is Art - Vorstellung eines LARPs, bei dem Hamlet als interaktives Theater in 3 Akten gespielt wurde, inkl. Charaktermonologen, die für die andere Charaktere im "Time Freeze" stattfinden und unterschiedlichen Regeln für die 3 Akte (z.B. konnte man im ersten Akt praktisch nicht sterben, im zweiten war es möglich, aber unwahrscheinlich, im dritten führte die geringste Gewaltanwendung unweigerlich zu einem dramatischen und langen Tod)
Mellan Himmel och Hav - das später als "favourite Nordic LARP ever" gewählte schwedische LARP hatte als Basis eine Kultur auf einem fremden Planeten, wo es 4 Geschlechter gibt (die unabhängig vom Spielergeschlecht gecastet wurden) und diverse andere "Merkwürdigkeiten"
Reality TV - einer der bekanntesten dänische LARPer, Claus Raasted, war eine Zeit lang Star einer Reality Soap, bei der "Geeks" zu einer erfolgreichen Fußballmannschaft werden sollten (hat wohl weniger geklappt...)
Und das waren nur ein paar Beispiele (nicht alle!) nur aus der 1 1/2 stündigen Panel-Diskussion, die im Übrigen von Heikki Holmås, einem Mitglied des Norwegischen Parlaments geleitet wurde...
Noch Fragen Hauser?
Was auf dem Knutepunkt so passiert ist... Interessant war die Veranstaltung natürlich auch was das Socializing anging. Wir haben eine Menge sehr netter Leute kennengelernt und einen Heidenspaß gehabt. Im Laufe der Woche hatten wir Gelegenheit an einer Reihe Mini-Larps teilzunehmen (wobei ich nur eins geschafft hab, weil die anderen so früh morgens waren... ich meine, 11.00 Uhr ist doch echt unchristlich, oder?), dann gab es eine Stadtführung, eine Get-together-Party mit dem Thema "Trash", was Larson und ich zum Anlaß nahmen die schlimmsten Klamotten zu kaufen, die wir in einem einschlägigen 2nd Hand Geschäft in Oslo finden konnten (danach waren Larson nur noch "a couch with a cat" und meine Wenigkeit "a couch to do ps*chedelic drngs in") und zum Abschluß der "Week in Norway" die Knutebook-Releaseparty. Dort wurde das zum 3. Mal erscheinende Buch mit Larp-Artikeln vorgestellt und für ca. 12,- Euro verkauft (außer für Knutepunkt-Teilnehmer, da es im Teilnahmepreis inklusive ist). Wer mal einen Blick auf die Bücher von 2003 As Larp grows up und 2004 Beyond Role and Play werfen will kann das gratis im Netz tun.
Und dann ging es zum Knutepunkt.
Die Veranstaltung stand dieses Jahr unter dem Motto "Make con the larp way". Damit wollten sie sagen: wir wollen die Konferenz gestalten wie ein Larp. Und das ist ihnen wirklich gelungen.
Das gewählte Szenario war ein Irrenhaus: The Asylum. Die Organisatoren trugen weiße Kittel, als Teilnehmer bekam man zum Check-In nicht nur gleich eine Portion bunte Pillen (Haben Sie schon Ihre Medikamente genommen?) sondern auch ein durchsichtiges Plastikarmband mit Name, Geburtsdatum und Unterbringungsort. Die Conshirts hatten auf der Rückseite "Inmate" (also Insasse/Häftling) stehen und dazu bekam man einen Stapel persönliche Visitenkarten mit Knutepunkt-Logo plus laminierte Karte des gesamten Geländes mit "Notfallhinweisen" auf der Rückseite. Wow.
Der Weg von der einsamen Bahnstation (die natürlich statt des Veranstaltungsortes ein großes Schild "The Asylum" hieß) ging man einen Weg durch den Wald zum beheizten Hauptzelt mit einem irren Zirkusschild auf dem "Delirium" stand - so hieß also das Hauptzelt. Andere Orte trugen Namen wie "The Morgue", "Operating Theatre" oder "Social Training Area". Die Hütten in denen wir untergebracht waren, hatten auch verschiedene Themen, die man sich bei der Anmeldung schon aussuchen konnte (ruhig, praktische Übungen, "Vorlesungen"). Wir waren in einer einfachen Schlafhütte untergebracht, aber andere waren in der "Auto Stimulation Cabin", der "Group Therapy Cabin" oder in "The Real Workshop" untergebracht. Das gesamte Ambiente war auf Sanatorium ausgerichtet, selbst die Veranstaltungen trugen den Namen "Therapies" und hatten so ulkige Namen wie "Find your inner lunatic" (ein Schauspiel-Workshop). Es gab außer zu den Essenszeiten und abends immer mindestens ein halbes Dutzend parallele Veranstaltungen, die Auswahl war manchmal garnicht so leicht.
Die ersten Workshops fanden schon Donnerstag nach dem Mittagessen statt, die eigentliche Eröffnungsveranstaltung war aber erst am Donnerstag abend. Damit haben sie es dann wirklich geschafft den Eindruck des Irrenhauses zu vermitteln. Am Ende der echt coolen Eröffnungsshow sollten wir alle in unsere Hütten zurückkehren, wo man uns einen Beutel mit Goodies (Süßigkeiten, Kakao, Tee, Zucker) und einen Umschlag hinterlegt hatte. In dem Umschlag waren Unterlagen für eine "Selbsthilfetherapie": in verschiedenen Schritten konnte jeder Teilnehmer über einen gespielten oder geschriebenen Charakter erzählen, was ihn ausgemacht hat, von ihm unterschieden und mit ihm gemeinsam hatte usw. Das hat wohl nicht überall so gut funktioniert wie bei uns, aber wir haben 2 oder 3 Stunden lang zu 7 Leuten eine richtig gute Diskussionsrunde ohne unterbrechen, dazwischen reden, schlecht machen, hinbekommen. Was für ein Einstieg!
Am nächsten Abend gab es den "Club Libre", eine Casino-Bar im Stil der 40er mit Live-Sängerinnen (Lilli Marleen war deer Hit!) und Cocktails. Und am Samstag abend den Höhepunkt: der Euro-Larp-Vision Grandprix. Jeder, der wollte, konnte ein larprelevantes Lied vortragen und die beste Performance wurde von einer (natürlich bestechlichen) Jury gekürt. Tatsächlich hat auch der Publikumsliebling und m.E. beste Vortrag gewonnen. Eine beeindruckende Bandbreite von römischen Legionären, nackten Dänen mit einem schlechten Shanty, einem Kirchenchor aus einem norwegischen WW2-Larp, John Kim als Katze mit "Memories", klassischer Bardin mit einem gänsehautreifem Lied und einer Vierergruppe Männer, die ein Wikingerlied vom Feinsten gesungen haben (um nur ein paar Beispiele zu nennen). Letztere haben dann auch gewonnen (wenn draussen Langbote gestanden hätten, wäre ich sofort aufgesprungen und hätte nur nach der Axt gefragt um dann auf einen Wiking zu gehen ;).
Danach gab es eine wilde, coole Party bis zum Morgengrauen, aber wie die ganze Woche über auch haufenweise richtig geile Gespräche über Larp in Skandinavien und Deutschland.
Der Sonntagmorgen sah dann eine teilweise umstrittene Abschlußzeremonie, die aber das Thema Sanatorium in einer Art Messe mit OT Larp-Themen wieder aufgriff ("This is not you. This is not here. This is not now").
Wie man wahrscheinlich kaum mitbekommen hat bin ich von dieser Woche in Norwegen tief beeindruckt. Ich kann nur jedem, der Larps organisiert oder sich damit beschäftigt, empfehlen, diese Veranstaltung einmal zu besuchen. -- SteveJordan, 1.3.2005
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