Ein Realistisches Ritterkonzept
Disclaimer
Dieser Artikel nimmt nicht in Anspruch, eine Regel für "das Larp" aufzustellen.
Er soll dazu dienen, Spielern, die feudale Hintergründe bespielen (also das klassische "Fäntelalter" und Histolarp) eine eine einfache Anleitung zu geben, wie ein Ritter in der echten Feudalzeit (also im Mittelalter) lebte. Daraus kann sich jeder etwas für sein Spiel mit nach Hause nehmen. Wenn ich im Folgenden von "dem Larp" spreche meine ich also Fantasylarphintergründe mit starken Elementen des Feudalsystems.
Ich habe mich im Laufe meines Studiums (Geschichte) intensiv mit dem Phänomen beschäftigt, falls jemand meine Quellen haben möchte, kann ich gerne eine Literaturauswahl angeben.
Mir ist in meiner gesamten "Larpkarriere" öfter aufgefallen, wieso mir das Spiel von vielen anderen Larprittern - gelinde gesagt - nicht gefällt. Was man da meistens sieht ist ein wilder Mischmasch aus Hollywood, ZDF-History und überholten Romantikklischees des 19. Jahrhunderts, garniert mit einer triefenden Soße biedermeierschem Knigge-Benimmcodex. Schlicht und ergreifend "larpig", das Ganze.
1. Was mich stört
Viele Larpritter scheinen Ritter zu spielen, damit sie in hübscher Klamotte am oberen Ende der Tafel sitzen dürfen und jeder Knecht erfürchtig "Guten Morgen Herr Ritter" sagt. Wenn es in die Schlacht geht steht man in seiner geilen Rüstung herum und palavert ein bisschen, während die Knechte - ja was machen Knechte denn so? - naja irgendwas knechtisches machen, bis die Herren sich nach ewigem Gerede dazu entschließen, den Hintern endlich mal hinfortzubewegen.
Im Lager glaubt man, dass jeder Knecht einem Untertan ist und man fröhlich herumkommandieren kann (ein Grund, warum in solcherlei Larpgefilden auf einen Indianer gefühlte hundert Häuptlinge kommen) Wenn mal in Ritterbruder nicht gerade im feinen Tanzzwirn, sondern in halb abgelegter Rüstung herumläuft (im Feldlager!) wird nachgefragt, was das denn soll. Statt sich normal zu unterhalten sitzt man bedröppelt und fein leise mit gefalteten Händen (wie es sich vielleicht im Biedermeier für den Preußischen Offizier gehört hat) an irgendeiner Tafel herum, bis irgendeiner der Anwesenden anfängt, sich über die jeweilige Lieblingstugend zu auszutauschen. Der Knappe wird als besserer Dienstbote behandelt und mehr als Wein schleppen steht für ihn nicht auf dem Programm. Mein Gott ist das schlimm! Sind wir hier auf einer Höheren Töchterschule?
Ich will Ritter, die sich als das begreifen, was Ritter nunmal waren: Professionelle Gutsverwalter, Ausübende von Herrenst und Berufskrieger. Wer die Gesellschaftstanzabteilung eines Offizierschorps mit Knigge-Kurs bespielen will, die nur Damen Hofieren und Ringelreihen kennt, soll das gerne tun, nur nennt es halt bitte nicht "Ritter".
2. Historischer Exkurs: Die Entstehung des Ritters
Das erste Mal begegnet uns der Begriff "Ritter" in der klassischen höfischen Literatur (zwischen 1180 und 1210). Entgegen der landläufigen Meinung ist diese aber nie dafür gedacht gewesen, "den Rittern" ein Rollenvorbild zu liefern, da es zu dieser Zeit noch gar keine Ritter im uns geläufigen Wortsinn gab. Adelige (Grafen, Herzöge) nennen sich in diesem Zeitraum neben ihrem eigentlichen Amtstitel zusätzlich bisweilen gerne "milites" (was - relativ unhinterfragt - mit "Ritter" übersetzt wird), weil es gerade modisch ist. Es heißt hier schlicht noch "Krieger" und zeigt, was man für ein toller Kerl ist, der Leute verdreschen kann. Das findet sich dann in der höfischen Dichtung als "Rîter" wieder.
Parallel gibt es die Ministerialen dieser Adeligen, die zunächst nur bessere Dienstleute sind. Diese steigen aber auf und leben gegen Mitte des 12. Jhs. bereits (ggf. abgestuft) adelsmäßig. "Adelsmäßig" war in dieser Zeit aber noch recht einfach, da Adelige - im Vergleich zum Spätmittelalter - noch sehr einfach auf Höfen und noch nicht in Burgen wohnten. Selbst die meisten Kaiserpfalzen waren nur einfache Holzbauten. Dies ändert sich im letzten Drittel des 12. Jhs., es brechen gewisse politische Wirren aus (z.B. der sog. "Deutsche Thronstreit"), die Zeiten werden gefährlicher und es werden plötzlich überall im Reich steinerne Burgen und Stadtmauern gebaut. Eine nicht geringe Menge von Adeligen erkennt diesen Trend nicht und baut keine Burg; diese sinken sofort sozial ab und verschwinden in allen Quellen innerhalb von wenigen Jahrzehnten. Die Burg wird auf ein Mal das Statussymbol für adeligen Stand. Die entstehende Lücke wird von den Ministerialen gefüllt, die ihre Unfreiheiten größtenteils abgelegt haben. Diese aufgestiegenen Ministerialen nennen sich selber ab Anfang des 13. Jhs. nun ebenfalls "milites" (bzw. werden so genannt). Das wiederum sorgt dafür, dass Adelige (also Grafen und Herzöge) sich selber wiederum davon abgrenzen und sich "nobiles" ("edle") nennen. Einige "milites" nennen sich nun in Folge sogar ebenfalls "nobilis", was schlussendlich von Kaiser Friedrich II. per urkundlichem Erlass verboten wird. Die ehemaligen Ministerialen sind nun eine Schicht geworden, sie sind sozial nach unten wie oben klar abngegrenzt, sie werden nun zum Geburtsstand der "Milites". Bis 1300 wird aus dem "milites" dann der "Ritter", da die Urkundensprache von Latein auf Frühneuhochdeutsch wechselt.
Erst ab der Mitte des 13. Jhs. kann man also davon Sprechen, dass es Ritter gibt, wie wir uns das vorstellen: persönlich freie Vasallen von Adeligen, die auf Burgen leben und bei Herren Kriegsdienst und Rat leisten. Alles davor waren unfreie Dienstleute. Der "Ritterbegriff" (der ja keiner ist, weil wir hier faktisch von den Begriffen "Miles", "Rîter", "nobilis" und "Ritter" sprechen) hat sich vom Ende des 11. bis Ende des 13. Jhs. in seiner bedeutung ganz krass gewandelt und bezeichnet nun etwas vollkommen anderes als zu Anfang.
Um hiervon wieder auf die Literatur zu kommen: Im Spätmittelalter (also ab ca. 1250) gibt es keine klassische höfische Literatur mehr, hier werden Ritter nicht mehr als primär als Objekt zur Belehrung dargestellt, sondern einfach als Akteure in Geschichten eingewoben und können völlig verschiedene Rollen einnehmen, wie alle anderen Personen- und Standesgruppen auch.
Das Problem ist, dass man uns seit der Romantik erzählt hat, ab Karl dem Großen sei "der Ritter" das Prägende Element des Mittelalters gewesen. Faktisch gegeben hat es ihn halt leider erst 500 Jahre später.
Die "normannischen" oder "Frühmittelalterlichen" Ritter Im Larp müssen aber nun nicht un die Röhre gucken: ich würde das Thema "bin ich nun Ritter oder Ministerialer" im Spiel einfach nicht thematisieren und mich schlicht als "X von Y" vorstellen, der Gegenüber wird schon Spiel daraus generieren. Schwert, Rüstung und Untergebene hatte ja auch der Ministeriale; nur kann sein Herr ihm eine ganze Menge vorschreiben (Erbe, Heirat, Wohnsitz etc.) und statt in einer Steinburg wohnt er auf einem Hof mit Motte. Daraus kann man aber ja auch viel Spiel generieren!
3. Was bringt ein Ritter nun mit?
Ein Ritter (also zwischen ca. 1250 und 1550) hat vom in seiner gesamten Jugend eine intensive und harte Ausbildung zum Kampf mit verschiedenen Nahkampfwaffen, zum Reiten, Bogenschießen, Armbrustschießen, zum Laufen, Schwimmen, Klettern und zur Jagd gemacht. Er hat bei seinem Vater, bei seinen Verwandten und dessen Freunden (alles Ritter) gesehen, wie man ein Gut verwaltet, wie man zwischen seinen Untergeben Recht spricht, wie man sich gegenüber seinen Herren (ja, mehrere!) verhält.
Diese Aspekte werden nicht kanonisch oder per Buch beigebracht, sondern weil der Knappe seinen Ritter oder Edelknecht bei dem er lernt, Tag und Nacht begleitet und ihm zusieht!
Sobald der Knappe alt genug ist und erbt, lebt er mit seiner Familie und seinem Gesinde auf einem Festen Haus oder einer Burg. Er lebt, isst und schläft mit seinen Untergebenen in ein und dem selben Raum, Tag um Tag, Jahr um Jahr. Seine Untergebenen, die ihm bei der Verwaltung seines Gutes behilflich sind, sind immer bei ihm und begleiten ihn, egal wohin es gerade geht (ja, auch zu einem Hoftag, GERADE dort hin! Dort trifft man nämlich im Zweifel andere Leute, mit denen man Stress hat und loyale Menschen, die gut mit Knüppeln umgehen können sind da öfter mal eine große Hilfe.) Das Gesinde gehört zur so genannten familia, d.h. zur erweiterten Großfamilie. Man hat seinem Gesinde gegenüber zwar Rechte aber auch bindende Pflichten, man ist für seine Leute direkt verantwortlich! Ein "volksferner" Ritter/Edelknecht ist also schon mal per Definition von vornherein völlig ausgeschlossen.
Den Ritterschlag erhält der Edelknecht eigentlich nie - den braucht er auch nicht. Von seinen Standesgenossen wird er aufgrund seiner Ritterbürtigkeit geachtet, nicht weil ihm mal irgendwer irgendwann einen blöden Gürtel umgelegt hat. Wenn er im Rahmen einer höfischen Feier oder vor bzw. nach einer Schlacht den Ritterschlag empfangen hat, hat er danach einen gewissen Ehrenvorrang, den er aber auch Ausstattungstechnisch halten muss. D.h. im Zweifel lässt er das mit dem Ritter auch wieder und ist nur X von Y und nicht Ritter X von Y.
Zum Herrenhof wird der Ritter/Edelknecht gerufen, wenn der Herr Rat und Hilfe benötigt. Meistens ist das der Fall, wenn Verträge mit anderen Herren bezeugt bzw. besiegelt werden sollen, oder der Herr Geld braucht wird - da müssen die Ritter des Herrn nämlich vorher zustimmen. Der Herr kann nicht einfach machen, was er will, da die Ritter in seinem Land - zusammen mit den Führungsschichten der Städte - diejenigen sind, die die gemeinsamen Beschlüsse im Land umsetzen.
Danach wird noch ein bisschen mit dem Herrn gesoffen und gut ist. Tanzen, Minnesang, Tugenden und all sowas ist etwas für die wirklich Adeligen Herren (also ab Graf aufwärts), die die Muße für sowas haben. Ein Ritterbürtiger hat sich um seine Familie, sein Haus und seine Güter zu kümmern, für höfischen Krimskrams hat er schlicht keine Zeit. Abgesehen davon, dass er das nie irgendwo gelernt hat verlangt das auch keiner von ihm!
Eine weitere Hauptaufgabe des Ritters ist, seinen Herrn zu vertreten, indem er als sog. Vogt, Drost oder Amtmann den Gerichtstag auf einem Dorf oder Gut seines Herrn leitet, die Abgaben einsammelt und das Aufgebot befehligt. Je nachdem dient er u.a. auch als Verwalter auf einer Landesburg und wird in der Funktion Burggraf oder Burgmann genannt und erhält ein sog. Burgmannlehen (was nebenbei nicht mal in der Nähe der Burg liegen muss, geht es hier ja nur um die Einnahmen aus dem Land als Bezahlung für die Tätigkeit).
Wenn der Herr einen Krieg führt, bekommt der Ritter hierfür erstmal einen finanziellen ausgleich - der Herr will ja auch, dass seine Leute ordentlich herumlaufen und nicht auf einem Ackergaul ankommen. Der Feldzug findet nur eine begrenzte Zeit aus eigener Tasche statt. Der Ritter ist nur zur Landesverteidigung verpflichtet und nur eine gewisse Zeit im Jahr, in der Regel 6 Wochen und 3 Tage. Braucht der Herr mehr Dienstzeit und / oder geht es außerhalb der Landesgrenzen geht der Zug auf Kosten des Herrn. Da es bis in die Neuzeit aber noch keinen militärischen Versorgungsapparat gibt, muss jeder Ritter mit seinen Knechten seine Kosten auslegen und wird im Nachhinein bezahlt. Der im Larp ebenfalls verbreitete Irrglaube, ein Ritter nähme kein Geld an, ist halt auch ziemlicher Kappes, außer er kann wirklich Luft und Ehre essen.
Ist der Ritter mal knapp bei Kasse, stellt er sein Können auch anderen Herren gegen Sold zur Verfügung - mit völliger Billigung des Herren, solange er und sein Besitz aus den Kampfhandlungen ausgenommen sind. Letzteres lässt sich der Ritter im Regelfall auch vom Soldherrn verbriefen. Sold zu nehmen ist keineswegs ehrenrüchig, wieso auch? Von irgendwas muss man schließlich leben.
Der Ritterbürtige ist ein eigenständiger Herr. Meistens hält man mehrere Lehen von völlig verschiedenen Adeligen und ist sich der sich dadurch ergebenden Konflikte völlig bewusst. Dies nutzt man im Zweifel auch, um seine eigene Position zu stärken. Adelige sind im Mittelalter keine Alleinherrscher, die tun können, was sie wollen. Jedermann - auch der Landesherr - ist an Recht und Gesetz gebunden. Setzt er sich darüber hinweg, hat er ganz schnell seine igenen Leute im Haus stehen, die ihm die Fehde erklärt haben und ihn zwingen, sich ordentlich zu benehmen.
Die Rolle "Ritter" bietet so viel mehr als das, was im Larp oftmals daraus gemacht wird. Sorgen wir dafür, dass sich das ändert
Siehe auch: