Meinung: Gegen Unsichtbarkeit
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Unsichtbarkeit ist nicht darstellbar.
Allenfalls kann sie symbolisiert werden, z.B. durch gekreuzte Arme, vorm Gesicht gespreizte Finger, eine bestimmte Schärpe, einen bestimmten Hut. Im Larp gibt es einige Symbole, die akzeptiert werden: Ein Softball gilt, je nachdem, als Feuerball oder Kugel magischer Energie, ein Kreidestrich oder ein farbiges Band symbolisiert eine Wand aus Energie, ein Schaumstoffknüppel als Schwert aus Metall.
Allerdings, und nun kommen wir zum Unterschied zwischen "Symbol" und "Darstellung", ähneln die meisten akzeptierten Kompromisslösungen noch dem, was sie darstellen sollen. Latexwaffen ähneln zumindest grob realen Waffen, ebenso gibt es inzwischen im Dunkeln leuchtende, flackernde Feuerball-Attrappen; Alternativen mit höherem Symbol- und geringerem Darstellungswert, wie grobe Tape-Pömpfen und unmodifizierte Softbälle, werden zunehmend ersetzt.
Ebenso wie ein Kreidestrich-Energiewall bietet eine irgendwie geartete Markierung für "Unsichtbarkeit" nicht den Ansatz von Darstellung. Im Grunde ist das auf entsprechenden Cons in Ordnung, bestimmte Dinge durch Symbole zu handhaben - in der Theorie sind diese Symbole jedem Mitspieler bekannt, dieser reagiert entsprechend darauf und alles läuft rund.
In der Praxis sieht das leider anders aus. Im Grunde gibt es drei Stufen von "Vorstellung":
- Ein Ding stellt ein anderes Ding mit ähnlichem Aussehen dar: Dies führt noch zu wenig Missverständnissen, denn schlimmstenfalls kennt man die Bedeutung des Symbols nicht und fragt nach. Ein Schaumstoffschwert ist ein so offensichtliches Symbol für ein reales Schwert, dass hier wohl kaum Fragen auftauchen; wird man von einem Schaumstoffball getroffen und muss die Bedeutung erst erfragen, reagiert man eben etwas verspätet darauf und fällt z.B. 15 Sekunden zu spät um. Alles noch nicht so dramatisch.
- Etwas nur Angedeutetes oder eine reine Erzählung ersetzt ein IT vorhandenes Ding: Hier treten die ersten Schwierigkeiten auf. Ein nur angedeutetes Türschloss oder ein Kreidestrich-Energiewall (den man nun mal verflixt leicht übersieht) führen zu "du hättest hier gar nicht hinkommen können"-Situationen.
Etwas Vorhandenes soll als nicht vorhanden/sichtbar vorgestellt werden: Dies funktioniert einfach nicht. Die logischen Handlungen können an den Umstand angepasst werden, das Unterbewusstsein lässt sich mit einem einfachen Symbol aber nicht austricksen. Ich kann mir vorstellen, ich sähe die Dämonen mit gekreuzten Armen hinterm Tor nicht, aber ich schaue mich trotzdem öfter um als normalerweise, bin angespannt und nervös. Natürlich kann ich mir vorstellen, ich sähe den unsichtbaren Spion hinter mir nicht, aber ich kann dann nicht mehr belanglos plaudern. Jemanden "übersehen" ist nicht passiv, sondern eine höchst aktive Angelegenheit, weil man sich zum normalen Verhalten zwingen muss. Und das kann ganz schön anstrengend sein.
Und es klappt doch bereits bei den jetzigen "IT nicht vorhandenen" SLs und NSCs mit gekreuzten Armen nicht, diese zu übersehen. Regelmäßig drehen sich alle Köpfe und alle Hände tasten nach den Waffen, bis die NSCs die gekreuzten Arme hoch und runter heben und die SL mit dem roten Knicklicht (das grad hinter einem Zweig verdeckt war) und dem roten Hut (im Dämmerlicht nicht zu erkennen) wedelt. Zweifelsfrei erkennbar wäre wohl nur ein Knicklicht-Cape, und selbst da: Einer dreht den Kopf, weil er "irgendwas" sieht, alle drehen die Köpfe, weil sie wissen wollen, wonach der eine schaut. Je auffälliger und eindeutiger, desto weiter entfernt man sich von der "guten" Darstellung; je unauffälliger und somit besser dargestellt (die beste Darstellung für Unsichtbarkeit wäre wohl eine sehr gute Tarnung), desto weniger wird das Element "unsichtbar" erkannt (denn wenn einen doch jemand entdeckt, muss man ihm erst klar machen, dass man unsichtbar ist).
Hinzu kommt: Jemanden, der unsichtbar spielt, zu bemerken, ist entweder deutlich einfacher oder aber deutlich schwieriger, niemals aber genauso schwierig, wie es wäre, einen tatsächlich Unsichtbaren zu bemerken. Denn sobald man es nicht den Umstand ausnutzen möchte, dass man OT Bescheid weiß (dann wäre es deutlich einfacher), fragt man sich bei jedem Anzeichen "Hätte ich diesen knackenden Zweig jetzt bemerkt, wüsste ich OT nicht, dass da jemand steht? Hätte ich auf die sich bewegende Tür geachtet? Wäre ich misstrauisch gewesen, wenn ich nicht wüsste, dass jemand hinter mir steht? Welches Thema hätte ich angesprochen?" - und entscheidet sich meist dagegen, weil man ja nicht OT und IT vermischen und womöglich als Schummler dastehen möchte. Selbst wenn nicht, ist diese Grübelei aber schon ärgerlich, weil sie einen daran hindert, sich ins Spiel zu vertiefen.
Weiterhin ist es kaum möglich, allein durch Vorstellung eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, ob durch Hinzu- oder Hinwegdenken bestimmter Dinge. Mein Charakter ist vielleicht erstaunt, wenn ein Gegenstand (von einem Unsichtbaren bewegt) durch die Luft "schwebt", ich aber nicht. Das möchte ich aber. Ich möchte auf einem Larp Empfindungen, Stimmungen, Freude, Spannung, Anspannung nicht nur spielen, sondern erleben. Ich möchte mich tatsächlich wundern, wie man mich unbemerkt belauschen konnte (und nicht denken, na ja, der stand mit lila Schärpe hinter mir), ich möchte mich im Dungeon tatsächlich ein bisschen gruseln und blind umhertasten (und nicht denken, na ja, ist halt draußen und Mittag, aber IT seh ich nix). Klar, ein bisschen muss ich mich reinversetzen, um nicht zu denken "OT bin ich Sonntag Abend zu Hause, egal was ich hier mach" - aber für die Stimmung muss das Drumherum stimmen.
Autoren: Hana
Siehe auch: Für Unsichtbarkeit
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