Meinung: Sind sexuelle Gewalt und Vergewaltigung legitime Spielinhalte?
Viele LARPer halten die spielerische Darstellung von sexueller Gewalt oder Vergewaltigungen für unangebracht. Aber es gibt auch anderslautende Meinungen.
Gedanken zur Diskussion
SteveJordan, 7-9-05
Ich habe eine extreme Abneigung gegen die Darstellung sexualisierter Gewalt und würde sie auf meinen Spielen nicht dulden. Trotzdem sind im Pro-Artikel eine Reihe interessanter Punkte, die mir entgegen meines anfänglichen Widerwillens überhaupt über die "pro"-Argumente nachzudenken, einige Denkanstösse gegeben haben. Vor allem die Gegenüberstellung von Gewalt an sich (Mord, Folter, Entführung etc.) und Vergewaltigung und die Frage weshalb das eine akzeptabel sein sollte (oder zumindest als Teil der Simulation aktzeptiert wird), das andere hingenen "tabuisiert" wird ist garnicht so einfach zu beantworten ohne emotional zu argumentieren.
Interessant ist an dieser Stelle ist auch der Blick in die Kriminalstatistik: im Jahr 2004 gab es in Deutschland insgesamt 2480 Mord- und Totschlagsdelikte, davon 399 vollendete Morde. Gewalttaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gab es 57.306 (also ca. das 23-fache), davon alleine 8.831 Vergewaltigungen (85% vollendet) und 17.260 Fälle von sexuellem Mißbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen. Dabei handelt es sich um verfolgte Fälle und es darf davon ausgegangen werden, daß die Dunkelziffer bei Gewalt gegen die sexuelle Selbstbestimmung wesentlich höher ist als bei Mord- und Totschlagsdelikten. Selbst wenn man diese Prämisse außer Acht läßt, so ist der Anteil von Betroffenen bei sexualisierter Gewalt ca. 20x so hoch wie bei Mord- und Totschlag. Dazu kommt, daß die Erfahrung naturgemäß eine persönliche ist, wohingegen ein Morddelikt, so nicht nur versucht, nur indirekt Betroffene tangieren kann. Die Zahl der indirekt Betroffenen (Angehörige, Freunde, Zeugen) und Versuche bei sexualisierter Gewalt kann ich nicht einmal schätzen.
Gegen eine Gleichbehandlung der verschiedenen Gewaltformen spricht meiner Meinung nach auch, daß sich sexuelle Gewalt weitaus mehr als die sonst im LARP überwiegend dargestellte kämpferische Gewalt direkt gegen die Psyche des Opfers richtet. Die Erniedrigung des Gegenübers, die ungehemmte Machtausübung über die Intimsphäre des Opfers sind meines Wissens meist zentraler Aspekt bei Sexualdelikten. Sexuelle Gewalt ist fast immer Gewalt gegen Wehrlose, während bei kämpferischen Auseinandersetzungen zwei wehrhafte Gegner gegeneinander antreten. Sicher ist diese Unterscheidung nicht immer scharf, aber tendenziell dürfte sie stimmen. Ähnliches gilt auch für Folter. --RalfHüls, 07.09.2005
Agree. Zudem ist das 'Meucheln', also die physische Gewaltform die sich noch am ehesten gegen ein wehr-, arg- oder ahnungsloses Opfer richtet, wenn auch geduldet, so doch bei den meisten Spielern die - meiner Ansicht nach - kooperativ spielen, verpönt. Natürlich einmal wegen der OutTime-Folgen eines Todesstoßes, aber auch weil es einfach spielschädigendes Verhalten sein kann. Die Gründe dafür liegen leicht anders gewichtet als bei sexueller Gewalt, aber eben nur leicht. -- MelaEckenfels 07.09.2005
Sexuelle Gewalt in der Realität ist zwar immer Gewalt gegen Wehrlose, aber im Larp ist dem ja nicht so: Jeder kann jederzeit aussteigen. Das Gegenargument, das für mich zählt, bleibt einfach: Ich kann mir damit kein sinnvolles Spiel vorstellen - jede Szene mit Vergewaltigung kann ich mir auch ohne vorstellen. Wahrscheinlich hat Hollywood mit da geschädigt. --TobiasPrinz
Ein weiterer Punkt, bei dem ich aus meinen Erfahrungen (sexuelle oder gewalttätige) als Laienschauspieler spreche: Körperliche Gewalt wie Schlägereien, Messerstechereien etc. lässt einen im Schauspiel immer noch wesentlich kälter als jede (angedeutete) Darstellung expliziter Sexualität. Das eine geschieht häufig noch auf Dolch-/Schwertlänge (und selbst für Infight gibt es eine Abspracheregelung!), hat also nicht den selben Faktor körperlicher Nähe, ist von den Gefühlen her eine klare Sache (Rollenbeispiel Täter / Rollenbeispiel Opfer = Wird uns schon von der Filmindustrie inflationär geliefert), während das andere schon im Schauspiel ein geistiger Spagat sein kann. Ja, Darstellung von Sexualität und/oder Liebe sind selbst für viele erfahrene Schauspieler eine starke emotionale Beanspruchung.
Wie die Kombination von Sex und Gewalt schon allein auf einen Schauspieler wirken muss, bedarf keiner weiteren Beschreibung. (=> Genauen Namen vergessen, aber gab es nicht sogar einen Paragraphen, der Schauspielern für Gewalttaten, die er nach der Darstellung gewalttäiger Szenen begangen hat, mildernde Umstände zubilligte?) --TillGendig
sexuelle Gewalt als Plot-Element
Noch mehr als der Spieler steht die Orga in der Verantwortung, wenn die Thematik der Cons darauf zusteuert. Zwar kann man viel mit "das war damals so" begründen, aber wo ist die Grenze, wo das Spiel zur unschönen Realität wird? Mit Authentizität lässt sich diese Grenze nicht ziehen. Letztlich muss das Persönlichkeitsrecht des Spielers entscheiden. Auf einem kleinen Con kann die SL im Vorfeld OT mit den Beteiligten absprechen, ob für sie Gewalt-Elemente in Ordung sind und wo ihre Grenze ist. Aber auf großen Cons ist das unmöglich und sollte lieber weggelassen werden. Negativbeispiel: Spielerin wurde in einem Traum als Überraschung in einen Blut-Dungeon geführt. Doch statt einem schönen Spiel kam es zu einem realen Nervenzusammenbruch, der nicht ohne war. Positvbeispiel: Spieler geriet in die Hände des brutalen Feindes. Die SL lotete vorher beim SC aus, ob und wie weit man mit der Hochnotpeinlichen Befragung gehen dürfte.
Mit Schändung begibt man sich als SL schnell auf dünnes Eis. Für die Gerichtsverhandlungen auf den Helicon 32 berieten wir im Vorfeld über die eingebrachten Verbrechen, Verhöre und Strafen. Zwar wollten wir eine dicht ans Mittelalter angelehnte Gerichtsverhandlung - aber nicht auf Kosten des Spielspaßes. So strichen wir die Hochnotpeinliche Befragung (Folter auf der Streckbank) und die Vergewaltigung vor dem Mord gleich am Anfang aus dem Konzept. Auch wenn wir die Vergewaltigung nie gezeigt hätten. Soziales Feingefühl war uns letzten Endes wichtiger als reale Dramatik. Und jede Orga sollte sich das gut überlegen, bevor sie solche Elemente einbaut. --- TobiasBrinkmann, 18.01.2005
Fakt beim "Vergewaltigen" im Larp ist ja einfach der, nur mal für alle "andere Grausamkeiten werden doch auch dargestellt" Argument-Führer, dass (grade die meisten Männer) nie eine Vergewaltigung erlebt haben. Ich habe Schlägereien miterlebt (unfreiwillig aktiv, sprich gewehrt) habe mich mehrmals geschnitten, Knochenbrüche und Kapselverletzungen durch !Schaukampf!waffen erlitten, mir eine Sehne gerissen etc. Klingt jetzt sehr böse, tat auch meistens weh. Trotzdem führe ich all' diese Aktiviäten im Larp aus(und lasse an mir ausführen). Sache ist nur die, meine "Kriegsverletzungen" sind teilweise durch meine Hobbies (also freiwillig miteinberechnet) oder durch reale Gewalt entstanden, nie durch Terror oä.(die übrigens genauso schädigen kann und zu echten psychischen Problemen führen kann) Meine Freundin wurde mal eine Zeitlang von einem RIALO (riesen a****loch) terroriesiert. Ich habe demjenigen damals sehr deutlich, wenn auch ohne Gewalt (mit meinen Außmaßen braucht man nicht immer Gewalt), klar gemacht, dass er sich fernzuhalten hat. Trotzdem wäre ich in der Situation damals fast durchgedreht. Jetzt stellt ihr vergewaltigungsphantasierenden Kerle euch mal vor, wie es zb wäre, euch würde ein riesiger, muskelbepackter Mann vergewaltigen (ja auch Männer machen das mit Männern, man denke an den Knast) würde. Ihr hättet für immer eure "unschuld" verloren, jeder könnte euch als homo (nicht abwertend gemeint auf homosexuelle jetzt, nur zur verdeutlichung des beispiels) abstempeln, ihr könnt vllt nie mehr die Gegenwart eines Mannes der ähnlich gebaut ist wie euer Vergewaltiger ertragen. Ihr würdet euch selbst nicht als Opfer, sondern als kleines, billiges Stück sehen (was Opfer häufig tun). Ist es da so schwer vorstellbar, dass, ausserhalb des BDSM vielleicht, es eine Horrorvorstellung für jede Frau ist, ob nun schonmal ein Opfer geworden oder auch nicht, im Larp Opfer eines solchen Übergirffes zu werden?!? Also bitte, konsequentes Spiel hin oder her, wenn ein Spieler ein ernsthaftes Problem mit irgendwelchen Situationen hat, dann bitte ebenjene sein lassen (Als Opfer eines Überfalls zb weiß ich ja, dass es im Larp Räuberbanden, plündernde Chaosritter oä gibt, die einem mit schöner Regelmäßigkeit Gewalt antuen wollen)Ich kann mich darauf einstellen und abwägen ob das möglicherweise daraus resultierende Trauma es mir wert ist. Als Opfer oder potentieller Ziel einer Vergewaltigung kann man jedoch nicht auf solche larp-aktionen vorbereitet sein, denn die sind NICHT gang und gebe (wie ich hoffe). Das in Anbetracht der Situation, in der ihr wärt, wenn ihr mal Opfer eines solchen verabscheuungswürdigen Aktes gewesen wärt, fändet ihr es "konsequent" so etwas auch noch in einem Spiel auszuspielen, oder anzuspielen?!? Wie gesagt, keiner von uns weiß, wie sich ein Pfeil oder ein Schwert im Körper anfühlt, aber viele Frauen wissen, wie sich eine Vergewaltigung anfühlt(und dadurch völlig gebrochen wurden) oder anfühlen muss . Das kann nur zu einer Folgerung führen: erst denken, dann nochmal denken, dann vielleicht handeln.. und denkt immer zuerst an den muskelbepackten Mann, dem ihr auch als kräftiger Herr nichts entgegenzusetzen habt. Sollte helfen. Danke, dachte einfach, ein deutliches und drastisches beispiel wäre nötig,
-- Gal
Für mich sind allerdings andere Fragen relevant, die teilweise im Kontra-Artikel schon angeführt wurden:
- Warum will jemand eine solche Szene darstellen?
- Wie ist die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht eines möglicherweise Betroffenen und dem "Anspruch" sexualisierte Gewalttaten im Spiel darzustellen?
- Was geht verloren, wenn man sie wegläßt?
Entscheidend ist doch eigentlich nur die zweite Frage: die Abwägung zwischen Opferschutz und dem "Recht auf InTime-Vergewaltigungen". Wenn mir in dieser Frage die Opfer sch...egal sind ("potentiell Traumatisierte sollen halt zu hause bleiben"), dann kann man über das "Warum" und den "spielerischen Wert" einer Vergewaltigungsszene zwar trefflich philosophieren - letztendlich bleibt es aber immer irgendwie Geschmacksfrage. Wenn ich mich aber für den Opferschutz entscheide, dann ist völlig unerheblich welche "total wichtigen Spielmomente" verloren gehen. Opferschutz hat Vorrang. -- KarstenDombrowski 07.09.2005
Ich gebe zu, daß die Fragen nicht objektiv sind, aber sie sind für mich entscheidend.
Darstellung von Sexualität im LARP ist grundsätzlich schon schwierig. Sie wird im Allgemeinen entweder komplett ausgeschlossen oder durch Massage, gemeinsames Verschwinden oder ähnliche Ersatzhandlungen simuliert.
Seltener sind Versuche Sex in einer "Porno"darstellung zu simulieren, also ohne echte sexuelle Handlungen, aber mit eindeutiger Darstellung, so ähnlich geschehen auf den Slaves to Darkness LARPs. ("Wenn es echter Sex wäre, dann wäre es ja kein Porno." Juhanna Petterson).
Wenn wir mit der Darstellung von Sexualität solche Schwierigkeiten haben, wieso soll dann die sexualisierte Gewalt im LARP enthalten sein?
Weiterführendes zum Thema "Sex im Rollenspiel"
Ein Experiment zum Thema kann man bei RPG.net nachlesen Deep Throat: the RPG by Juhanna Petterson.
Vor kurzem habe ich einen sehr spannenden Artikel über das schwedische LARP Mellan Himmel och hav (ToterLink) gelesen Jaako Stenros review (ToterLink). Für dieses LARP wurde eine Gesellschaft und eine Rasse entwickelt, die vier Geschlechter hat, die im Spiel auch unabhängig von den realen Geschlechtern besetzt wurden. Ebenso wurde eine Simulation für sexuelle Interaktion entwickelt, die zwar "nahe geht", aber vollkommen losgelöst von sexueller Stimulation funktioniert.
Weiterhin könnte das Sorcerer-Zusatzbuch "Sex and Sorcery" interessant sein, geschrieben vom The-Forge Indie-RPG Guru Ron Edwards.
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