Larpmeinung: Regeln im Live-Rollenspiel
(Stand nach Börsenschluß: 100 DragonSys-Punkte = 71,5 Manticore-Punkte)
Es gibt immer wieder die Forderung, ein einheitliches Regelsystem für das Live-Rollenspiel einzuführen, damit Konvertierungen entfallen können, weil es gerechter ist, etc. Dieser kurze Artikel soll zeigen, daß diese Forderung meiner Ansicht und Erfahrung nach ebenso wünschenswert wie utopisch ist. Dazu ist es der Versuch, mal Regelwerk-Kategorien aufzustellen.
Voraussetzung: Die verschiedenen Arten des Spiels
Unter dem Begriff Fantasy-Live-Rollenspiel werden eigentlich verschiedene Arten des Spiels zusammengefasst, die fließend ineinanderübergehen. Jedes Con hat eine gewisse Grundtendenz, die in der Vorliebe der SL liegt - jedoch findet man auf jedem Con auch Spieler, die ein vollkommen anderes Spielverständnis haben. Die wohl größten Differenzen findet man in den Bereichen
- Magie und ähnliche Fertigkeiten,
- nicht-menschliche Wesen
- Kampf und
- Rollenspiel.
Bei der Magie kann man zunächst unterscheiden, wie stark und häufig Magie ist. In einem System ist es schon toll, wenn der Magier nach 5 Con-Tagen eine Kerze anmachen kann, bei anderen fängt man schon nach 20 Tagen mit dem Bau von Dimensionstoren in andere Welten an. Magie kann selten (und gefürchtet oder verachtet) sein, es kann aber auch vorkommen, daß jedes zweite Wesen irgendeine magische oder ähnliche Fähigkeit hat. Bei einigen LARPs gibt es überhaupt keine Magie, oder Magie nur als mystischer Hintergrund.
Das Vorkommen nicht-menschlicher Wesen in LARP-Ländern kann auch stark differieren. Auf einem Con ruft der Elf beim Waldlauf dem Zwergen und Hobbit "Guten Tag" zu, bevor er gegen den Baumhirten rennt und vom orkischen Heiler zusammengeflickt wird. Vierzehn Tage später landet der Elf in einem Land, in dem er von allen erst 2 Stunden interessiert angeschaut wird, denn noch nie haben die Leutchen dort einen Humanoiden gesehen. Neben den Spieler-Charakteren gibt es auch heftige Unterschiede bei den NSCs: auf dem zweiten CON sind die Gegner Räuber und feindliche Ritter, nur als Endmonster kommt ein Werwolf - der außerdem nicht im Kampf besiegt werden sollte, sondern durch Finden von irgendwelchen Heilkräutern. Das erste CON wiederum bedient sich sämtlicher Fantasien: nach Orks, Goblins, Riesenspinnen, Werwölfen und kleinen grünen Männchen als Appetitmacher kommt zum Abschluß der große Drache in den Hof geflogen.
Auch der Kampf wird verschieden gesehen: der eine möchte es realistisch, der andere bombastisch. Realistisch bedeutet den frühen und schnellen Tod (oder zumindestens die Bewußtlosigkeit, denn man will ja nicht gleich nach dem ersten Kampf die Burg leer haben). Dagegen stehen epische Duelle zweier Ritter in Plattenrüstung, die sich eine halbe Stunde bedengeln, bis der erste schließlich umkippt - nicht aus Mangel an verbliebenen Schutzpunkten, sondern eher aus Erschöpfung.
Schließlich fehlt noch der eigentlich wichtigste Punkt: das Rollenspiel. Und da fliegt dann alles auseinander. Zwei Extreme: Es gibt Leute, die sich gar nicht für das Rollenspiel interessieren. Ihnen liegt mehr an Pompfen, Saufen und/oder gemütlichem Beisammensein. Genauso gibt es auch Spieler, die überhaupt nicht aus ihrer Rolle rausgehen, selbst auf dem Klo nicht. Die Art des Rollenspiels beeinflußt auch die anderen drei Punkte, beispielsweise die Magie: wie spiele ich meine Magie aus? Reicht es, einfach "Feuerball, 3 Punkte" zu rufen? Oder muß da erst eine lange magische Formel gesprochen werden, gefolgt von 7 verschiedene Gesten? Genauso betrifft das Rollenspiel die Fertigkeiten: reichen meine 50 Gift-Punkte aus, um das Gift mit Hilfe von Speisefarbe und Wasser zu erzeugen, oder muß ich 3 Stunden lang obskure Inkredenzien zusammenkippen?
Meiner Ansicht nach gibt es neben den 4 genannten Punkten noch zwei weitere Fragen:
- Wie wichtig ist mir mein Charakter?
- Wie ernst nehme ich das Live-Rollenspiel?
Stand: Die verschiedenen Regelwerke
Aufgrund der verschiedenen, nur sehr grob angerissenen Spielarten haben sich im Laufe der Zeit sehr viele, ebenso verschiedene Regelwerke herausgebildet. Darunter sind einfache ebenso wie komplexe Systeme. Hier sind nur einige Grundprinzipien aufgeführt. Die meisten Regelwerke unterscheiden sich vor allen Dingen in den Punkten Magie und Kampf. Darauf ist hier nicht eingegangen. Als Beispiel: ein Charakter mit Vollplatte hat nach Manticore ungefähr 20 Schutzpunkte, nach That's Live 5 (stimmt das noch?). Außerdem gibt es bei den Schutzpunkten 2 Möglichkeiten: entweder werden sämtliche Schutzpunkte zusammengezogen, oder man muß für jedes Körperteil einzeln rechnen. Es gibt sogar Systeme der Art" Wenn du genug hast, laß dich fallen, du kannst das selbst schon gut abschätzen." Ich persönlich habe es noch nie geschafft, mir die Punkte zu merken, und bin deswegen meistens vorher umgefallen.
Du kannst, was du kannst
Dieses System eignet sich nach meinen Erfahrung nur für besondere CONs. Denn sehr leicht wird daraus "Ich kann, was ich will". Ein Höchstmaß von Vertrauen wird von jedem Spieler verlangt. Niemand darf dieses Vertrauen mißbrauchen, sonst sind die Konsequenzen für das Spiel katastrophal. Meiner Ansicht nach ist dieses "Regelsystem" nur für kleine Einladungs-CONs zu gebrauchen, wo zumindestens die Spielleitung jeden kennt, möglichst auch die Spieler untereinander. Anmerkung: Vertrauen mißbrauchen hört sich sehr hart an. Einige LARPer sind sich sehr unsicher, wenn es darum geht, Fähigkeiten einzuschätzen - und übertreiben dann.
Ich war schon auf DKWDDK-Spielen mit ca. 160 Leuten, und in Schweden machens das auf 900-Leute Cons. -- SeeGras, 02.03.2004 Und? Hat das funktioniert? Sind die damit zufrieden? Ist das schwedische LARP wie das deutsche? Das wäre interessant. So sagt das nicht viel aus. -- Dominik, 27.06.2004 Natürlich funktioniert das, sonst würdens das nicht immer noch tun. Und ja, das schwedische LARP ist etwa dasselbe wie die DKWD(D)K-Spiele hierzulande. -- SeeGras, 28.06.2004
Fertigkeitssysteme
Fertigkeitssysteme sind prinzipiell einfach: jeder Charakter hat pro CONTag eine bestimmte Anzahl von Punkten, die er für Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben, Feuer anzünden, aber auch Magie ausgeben kann. Der Charakter wird also nach dem Baukastenprinzip konstruiert. Vorteil dabei: wenn jeder Charaktere wirklich nur nach Fertigkeitssystem konzepiert wird, sind die Charaktere mit gleicher Anzahl an CON-Tagen gleichmächtig - vorausgesetzt, das System ist wirklich ausgewogen. Ein Nachteil ist allerdings, daß ungewöhnliche Fähigkeiten eingeordnet werden müssen. Einige Charaktere mit merkwürdigen angeborenen Fähigkeiten können bei strikter Befolgung der Charakter-Generierungsregeln gar nicht erst zugelassen werden. Anmerkung: Charaktere mit Fähigkeiten , die der Spieler gar nicht darstellen kann (z.B.: Heilung 50 Punkte und der Spieler weiß nicht, wie man einen Verband macht), können auch bei anderen Systemen vorkommen.
Fertigkeitssysteme mit Punktevergabe nach Güte des Spiels
Eine Erweiterung der Regelwerke mit Fertigkeitssystem: die Anzahl der Punkte pro Tag hängen von der Schwierigkeit des CONs oder vom Spiel des Spielers ab. Generell wirft dieses Probleme auf: wer kann das wirklich beurteilen? Beim Tischrollenspiel dürfte es noch machbar sein, aber beim LARP hat 1. niemand einen Überblick über alle Spieler und 2. niemand wirklich die Möglichkeit, CONs nach Schwierigkeit zu unterscheiden. Die Schwierigkeit des CONs wird von der Spielleitung selbst entschieden und häufig falsch. Auch die Spieler dürften Schwierigkeiten haben, sich hinsichtlich der Schwierigkeit zweier CONs zu einigen.
Genauso merkwürdig ist die Vergabe der Punkte nach Spielleistung. Man kann die Punkte nach der Anzahl der Aktionen geben. Damit bekommen die auffälligsten Spieler die meisten Punkte. Aber: rein von der Beurteilung des Rollenspiels her können einige Charaktere gerade durch ihre Unauffälligkeit sehr gut gespielt sein (der Drahtzieher im Hintergrund). Außerdem: welcher Magier wird mehr lernen: der stille Gelehrte, der 2 Tage lang mit Gleichgesinnten diskutiert - oder der Abenteurer, der in jedem Kampf seine Feuerbälle losläßt? Wenn man das Spiel beurteilen will, muß man den CharakterBogen genau kennen. Wer einen langen Charakterbogen mit vielen Eigenschaften und Restriktionen schreibt, ist dann eher im Nachteil, denn der Charakter wird schwieriger zu spielen. Jemand ohne Charakterbogen hingegen schränkt sich nicht ein und verstößt mit seinem Spiel kaum gegen seine Charakterbeschreibung ...
Interessant sind übrigens die Kommentare, wenn die Punkte vergeben werden: "Für die da 2 Punkte mehr, die sieht niedlich aus." (Busen und Augenaufschlag statt Rollenspiel?) Genauso schön der Mißbrauch: "Komm zu uns, hier gibt es 10 Punkte pro Tag."
Vergangenheit: Versuch eines einheitlichen Regelwerkes
Schon im Jahre 1994 gab es auf dem Draccon 8 den Versuch, eine gemeinsame Kampagne in die Welt zu setzen (also vor dem Beginn der Mittellande!!!). Gescheitert ist das Treffen dann unter anderem unter dem Druck, ein gemeinsames Regelwerk für die teilnehmenden Veranstalter zwingend zu entwickeln. Seit 1993 (als ich mit LARP anfing) habe ich nach mindestens 10 Regelwerken gespielt, es waren eher noch mehr. Jedes Jahr gibt es mehrere Veranstalter, die lieber ein eigenes Regelwerk entwickeln, weil sie alle anderen für schlecht halten.
Abschluß: Warum ist ein gemeinsames Regelwerk unmöglich?
Die Bedeutung des Regelwerkes für ein LARP wird ebenso über- wie unterschätzt. Ein gutes Regelwerk bringt nicht unbedingt ein gutes LARP, auch ein schlechtes bewirkt nicht automatisch ein schlechtes LARP. Aber: wenn das Regelwerk unausgewogen ist, gibt es eher Probleme und Streitereien. Außerdem kann die Spielleitung schon per Regelwerk Einfluß auf das Spiel nehmen. Ein schon früher erwähntes Beispiel ist der Kampf. Mit Hilfe des Regelwerkes kann man die generelle Richtung festlegen: realistische oder pompöse Kämpfe. Das gleiche gilt für Magie: phantastisch oder Massenware. Man kann damit nicht vollkommen bestimmen, wie das CON sein wird, der Einfluß ist aber recht stark. In diesen Punkten (Kämpfe, Magie) gibt es auch wenig Kompromißmöglichkeiten: man kann nicht gleichzeitig viel und wenig Magie haben. Noch schlimmer: man kann nicht mit ohne Fertigkeiten spielen. Man muß sich entscheiden: System mit Punktevergabe oder nicht. Wenn man sich da für eine Möglichkeit entscheidet, gucken Spieler, die die (oder eine) andere Möglichkeit bevorzugen, einfach in die Röhre (bzw. müssen sich der Mehrheit anpassen). Außerdem zwingt man damit Spieler dazu, ein vielleicht viel zu kompliziertes System zu benutzen: wozu braucht jemand aus der Nordmark Dracconia ein Fertigkeitssystem? Man kann, was der Charakter können sollte, und Magie ist dieses auf keinen Fall.
Eine Möglichkeit wäre ein Regelwerk mit Optionen: wählen sie bitte beim Kampfssystem zwischen Option 1 realistisch und 2 pompös. Aber: das ist kein Unterschied zum Jetztstand. Es stehen einfach nur 2 Regelsysteme auf hinterliegenden Seiten.
Die Vielzahl der Regelsysteme haben auch einen Vorteil: Es gibt viele unterschiedliche LARPs. Verschiedene Regelsysteme, die sich wirklich unterscheiden, beugen auch in gewisser Weise einem uniformen Einheits-Langeweile-LARP vor.
CarstenThurau (Originalfassung 2001)
Vielleich interessant in dem Zusammenhang: XPlay --RalfHüls, 28.06.2004
Einer der Zentralen Punkte in der Rollenspieltheorie nach the froge ist ja "System does matter". Larp "leidet" eben daran, dass man 100 Spieler "an einen Tisch" bringen will wobei der eine DSA und der naehste D&D und der dritte Ars Magica spielen will. ---ChristianK 16.01.2008
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