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Meinung/Spielphilosophie/SpielOderAusstattung

Ist Rollenspiel wichtiger als Ausstattung?

Wann immer in LarpForen über die Qualität von Gewandung, Maskierung oder sonstiger Ausstattung eines Charakters diskutiert wird, findet sich über kurz oder lang jemand, der darauf hinweist, daß gutes Rollenspiel allemal wichtiger sei als die äußere Erscheinung.
Diese Fragestellung wird um so drängender, je extravaganter oder exotischer die angestrebte Rolle ist. Während es für einen Streuner oder Bauern noch relativ egal ist, ob man den in Lumpen vom Trödelmarkt oder einer historisch korrekten Gewandung spielt, macht es bei Hochadligen oder exotischen Fabelwesen eher einen Unterschied, ob man eine Bikermontur oder ein Prunkgewand trägt bzw. ob man sich nur lieblos zwei Farbstriche ins Gesicht malt oder ein Ganzkörper-Fellkostüm trägt.

Man mag grundsätzlich einwenden, es sei ja nicht mal möglich zu definieren was "gutes" Rollenspiel sein soll. Was der Eine bei einem Fantasy-Soldaten als modernistischen Nonsens empfindet ist für den Anderen "gutes Rollenspiel", was ersterer für denselben als "gutes Rollenspiel" sehen würde wäre für letzteren vielleicht mittelalterlicher ineffizienter Nonsens. D.h. das Problem ist nicht nur eine postulierte unterschiedliche Wertung zwischen passiver und aktiver Darstellung, die Wahrnehmung von dem was als positiv zu bewerten ist kann ebenfalls bei verschiedenen Spielern verschieden sein.

Ich folge aber hier mal, for the sake of an argument, dem Postulat derer, die mit "gutes Spiel ist wichtiger als Ausstattung" argumentieren, die also vorbringen, jemand, der, obgleich schlecht kostümiert, seine Rolle "gut rüberbringt", sei allemal einem Kleiderständer vorzuziehen.

Ich finde es in diesem Kontext immer seltsam, daß so oft vom Einzelfall auf ein generelles Prinzip geschlossen wird. Es gibt also einzelne Leute, die trotz schlechter Ausstattung überzeugend wirken. Gut. Man suggeriert daraus den Schluß, daß das generell so sei. Der leuchtet mir nicht ein.

Ich persönlich bin vermutlich ein äußerst mittelmäßiger Charakterdarsteller, aber in einem netten Kostüm bin ich ein mittelmäßiger Darsteller in einem netten Kostüm, statt ein mittelmäßiger Darsteller in einem schlechten Kostüm. Was davon ist denn nun insgesamt besser? Und auch wenn es begnadete Darsteller gibt, die ein mäßiges Kostum kompensieren können: sind begnadete Darsteller in tollen Kostümen nicht noch besser? Selbst die vielbeschworenen schlechten Spieler in tollen Kostümen sind auch besser, als schlechte Spieler in schlechter Gewandung. Egal, wie man es dreht und wendet: in einem guten Kostüm macht jeder Spieler eine bessere Figur, als in einem schlechten Kostüm, egal wie gut er à priori spielt. Daher ist es absurd, schlechte Kostüme unter dem Hinweis auf spielerische Qualitäten zu verteidigen.

Meiner Meinung nach sind die beiden Kriterien "Ausstattung" und "spielerische Leistung" unabhängig voneinander. Damit meine ich, daß ihre Werte jeweils über ihr ganzes Spektrum variieren können, ohne daß sich ein Zusammenhang zwischen beiden feststellen läßt. Natürlich kann es sowohl gute Spieler in schlechten Kostümen als auch erstklassig gewandete Kleiderständer geben. Aber eben auch oscarreife Leistungen in beiden Kategorien und den worst case, also spielerische Totalausfälle in Straßenkleidung. Gerade deshalb ist es aber auch legitim, die Kriterien unabhängig voneinander zu diskutieren.

Nun ist es natürlich leicht, mit den jeweiligen Extremen zu argumentieren und sicherlich macht die tollste Ausstattung keinen Hofschauspieler aus einem Durchschnittslarper. Aber letztlich spielt sich der größte Teil allen Rollenspiels vermutlich eben nicht in den beschriebenen Extremen ab, sondern wir sind alle mehr oder weniger mittelmäßige Darsteller, und sich darauf zu verlassen, daß man Defizite in der Ausstattung durch tolles Spiel zuverlässig kompensieren kann, dürfte für die meisten von uns ein gewagtes Spiel sein.

Wenn Leute nun bessere Ausstattung verlangen, heißt das in der Regel sicher nicht, daß ihnen das Spiel völlig egal ist. Das anzustrebende Optimum ist natürlich ein oscarreifer Schauspieler mit einer museumsreifen[1] Ausstattung. Es ist aber auch richtig, daß es relativ schwer ist, in einer abstrakten Netzdebatte Tipps zum besseren Spiel zu geben.

Egal, wie viele hypothetische oder tatsächliche Fälle von begnadeten Rollenspielern in mäßiger Gewandung man bemüht, es ist nicht zu leugnen, daß sehr viel vom ersten Eindruck abhängt, den wir von einer Person gewinnen und da ist ein Charakter, dessen Gewandung mich an der Gurgel packt und mich anbrüllt: "Hier kommt ein reicher Händler", bevor der überhaupt den Mund aufmacht, sicherlich hilfreicher als eine Ausstattung, die sagt: "Hier kommt ein 08/15-Charakter" und ich erst erfahre, daß es ein reicher Händler ist, wenn er sich vorstellt. Der Erste von den beiden ist nun in der glücklichen Lage, daß ihm bereits mit mittelprächtigem Spiel seine Rolle abgenommen wird, während der zweite noch damit ringt, den ersten Eindruck wieder wett zu machen. Insofern wirkt ein mittelmäßiger Rollenspieler mit einer guten Ausstattung sicher besser als ein guter Rollenspieler mit einer mäßigen Ausrüstung. Man kann das bedauern oder ungerecht finden, aber man kann den Effekt nicht wegdiskutieren.

Gerade für Mitglieder größerer Gruppen oder NSC-Horden stellt sich dieses Problem besonders, ist es doch traditionell eher so, daß eine solche Gruppe bestenfalls ein oder zwei wirkliche Sprechrollen hat. Es wird also in der angreifenden Drow-Armee nur die eine oder andere Matrone oder Priesterin überhaupt die Chance erhalten, ihre mittelmäßige Ausrüstung durch tolles Spiel zu kompensieren. Das Fußvolk wird eine Horde hastig geschminkter, schlecht perückter Motorradfahrer bleiben.

Das häufig gebrachte "Argument", man kenne ja einige (Rolle X einsetzen) fast ohne oder nur mit angedeuteter Gewandung, die trotzdem gut gespielt seien und schließe daraus, dass zu detaillierte Gewandung die Charakterdarstellung verdirbt, ist ohnehin ein logischer Fehlschluß. Aus "es existiert ein X mit A für das (nicht B) gilt" kann die Aussage "aus B folgt (nicht A)" nicht geschlossen werden (A steht hier für "gutes Spiel, B steht für "gute Gewandung"). Auch aus "es existiert ein X mit (nicht A) für das B gilt" kann "aus B folgt (nicht A)" logisch nicht geschlossen werden, daher sind Einzelfälle, in denen gut Gewandete schlecht spielen ... eben nur Einzelfälle.

Wie gesagt, ist es von beiden Seiten billig, mit dem Extrem zu argumentieren. Es geht auch nicht um die Extreme. Es geht mir darum, daß das Postulat irgendeiner Korrelation (positiv oder negativ) zwischen "Rollenspiel" und Ausstattung absurd ist und eine Wertung der beiden damit als Argument gegen die Aufforderung: "verbessere nach Möglichkeit Deine Ausstattung" oder gar gegen Hinweise, wie das geschehen könnte, nicht dienlich ist.

Die Korrelation oder zumindest die Wertung wird aber eigentlich stets von jenen bemüht, die sich gegen diese Aufforderung verwehren möchten. Erstaunlicherweise hört man aber die im Umkehrschluß eigentlich zu erwartenden Aufforderungen, man solle sein "Rollenspiel" verbessern oder am Ende gar praktische Tipps, wie man das bewerkstelligen könnte, relativ selten. Es heißt kaum jemals "Rüstung ist egal, aber lerne laut und kraftvoll zu sprechen und so zu atmen, daß Du genug Luft für eine flammende Kriegsrede hast" sondern stets nur "man darf niemanden zu guter Gewandung raten, weil es gibt Leute, die in Jeans einen XY darstellen können". Am ehesten wird da eben nochmal auf Kampftraining hingewiesen, aber da erschöpft es sich auch schon. Wo sind denn ansonsten die Darstellungstipps der "Rollenspiel ist wichtiger als Gewandung"-Fraktion? Die bösen Ausrüstungslarper schreiben seitenweise Schnittmuster und Bezugsquellen ins Larpwiki. Wo bleiben die Schauspiellehrgänge? [Mittlerweile kann man die unter SchauSpiel verlinken]

Mir persönlich sei auch noch die Anmerkung gestattet, daß ich in diesen Debatten meist von "Darstellung" und nicht von "Ausstattung" schreibe. "Darstellung" bezieht sich aber sowohl auf die Ausstattung als auch auf das Spiel. Meine Aussage (und implizite Forderung), man solle etwas, was man nicht darstellen kann, tunlichst nicht schlecht, sondern lieber gar nicht darstellen, behält auch dann Gültigkeit, wenn man das Rollenspiel mit einbezieht. Deswegen spielte ich z.B. auch dann keine Drow-Matrone, wenn man mir geeignete Ausstattung anböte.

Und wenn mir jemand vorhält, daß die, die tausende Euro oder hunderte Stunden in ihre Ausstattung stecken, damit doch eigentlich nur versuchen, ihr rollenspielerisches Unvermögen zu überdecken, dann sage ich: Ja und? Wenigstens sehen wir gut aus. Die anderen haben gar nichts, was von ihrem rollenspielerischen Unvermögen ablenkt.

RalfHüls, 08-04-2005, 28-03-2006, 17.10.1009

[1] und bevor jetzt wieder einer "dann mach' doch Reenactment" brüllt: das darf gerne auch ein Film- oder Fantasymuseum sein.


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