Darstellung: Blindheit
Baustelle von Ineksi
BitteKommentieren und BitteErgänzen
Das hier soll irgendwann mal ein sinnvoller, umfassender Artikel werden, der Diskussionen wie die hier im Vorlauf durch das Vermitteln von nützlichen Infos vermeidet. Deswegen sind auch Kommentare, Beispiele, sinnvolle Ergänzungen etc. erwünscht. Bitte macht sie kenntlich, damit ich weiß, von wem was kommt und wir darüber diskutieren können! Vielen Dank im Voraus auch schon für jegliche Korrekturen.
Aus diesem Artikel soll dann auch eine Info für den Blindenverband Hannover bzw. die entsprechende Kontaktperson werden ...
„Nachteil: Blind – 20EP“
In bekannten und oft genutzten Regelwerken (DragonSys, Silbermond, ...) finden sich Nachteile, die zum Individualismus des Charakters beitragen können. Einer der wahrscheinlich umstrittensten ist „Blindheit“.
Es mag der eine oder andere meinen, manche (gespielte) Nachteile sind mehr Effekthascherei als alles andere. Frei nach dem Motto „Meiner ist viel größer als deiner“ bzw. „Mir geht’s viel schlechter als dir“ werden Behinderungen und große Macken in die Konzepte eingebaut. Um aus einer der aktuellen Diskussionen zu zitieren: „Da wird mal eben die Blindheit Versucht, die Stumme Elfe sitzt nebenan. Allerlei mögliche Psychosen werden ausgepackt und rumgereicht.“ (Stephan Sauermann in der LARP-Info, oben verlinkter Thread, 14.05.2007) Deswegen ist es wichtig, sich vorher mit derartigen Behinderungen auseinander zu setzen und sie ggf. regelrecht zu üben.
Da der blinde Charakter im normalen Spielumfeld eher selten ist und - zumindest meiner Meinung nach - eine Menge Vorbereitung braucht, hier also ein paar Dinge, die man im Voraus bedenken sollte.
Vor allem anderen: Auch wenn das Regelwerk eine halbdurchsichtige Binde erlaubt/vorschreibt, denke immer daran: Du bist blind. Ergo: Du siehst nichts - gar nichts. Will man eine (minimale) Erleichterung geben, bliebe noch das Empfinden von hell und dunkel, also die Unterscheidung "ich richte mein Gesicht in die Sonne"/"Ich bin im Schatten".
Wie verändert Blindheit die allgemeine Wahrnehmung?
- Die Konzentration auf alle anderen Sinne erlaubt ein verbessertes Hör-Empfinden, einen intensiveren Geruchssinn etc. Sämtliche Sinne erscheinen einem am Anfang als geschärft, dabei konzentriert man sich allerdings nur mehr auf die Wahrnehmung. Auf der anderen Seite wird es z.B. Geräusche etc. geben, die einen erschrecken, weil man gewohnt ist, sie "kommen zu sehen".
- Die verbesserte Wahrnehmung durch andere Sinne kann dazu führen, dass man förmlich in Eindrücken "versinkt". In solchen Momenten ist es schwer, jeden Eindruck zuzuordnen; jeder weitere Reiz verwirrt zusätzlich. Richte dich darauf ein, dass so etwas vorkommen kann und behalte die Ruhe.
- Die vermehrte Wahrnehmung kann aber auch dazu führen, dass du beginnst, deinen fehlenden Sehsinn mehr und mehr auszugleichen. Mir hat man zwischenzeitlich nicht geglaubt, dass ich die Menschen in der Umgebung durch Grasrascheln orten konnte ...
- Die Orientierung der meisten Menschen beruht auf visuellen Schlüsseln. Am dicken Baum rechts, und bei der rosa Flagge links. Genau diese Marker verschwinden! Es bleiben nur noch andere Merkhilfen übrig, wie z.B. das Flussrauschen links und die Sandkuhle mitten auf dem Weg. Dazu kommt das Abschätzen von Entfernungen. Die Pfütze, die man mit einem Schritt überwinden kann, kann man nur dann überwinden, wenn man weiß, wo der Schritt hingehört ...
- Die Einschätzung von Räumen und Entfernungen wird wesentlich schwerer. Da Schritte nicht immer gleich lang sind und man meist nicht die Gelegenheit hat, den Raum schrittchenweise auszumessen, muss man damit rechnen, sich deutlich zu verschätzen.
- Mit der Zeit entwickelt sich eine dreidimensionale Landkarte, die genauer wird, umso länger man blind ist.
- Das Gleichgewicht mancher Menschen wird kurzfristig lahmgelegt. Ohne die Orientierung am Horizont kann man sich bezüglich senkrechter und waagerechter Ausrichtung schnell vertun. Auf der anderen Seite lernt das Hirn schnell, wie es dieses Handicap handhaben muss.
- Stille (im Gespräch o.ä.) wird ein Indikator dafür, dass man angesehen oder bemerkt wird.
- Das Gedächtnis verbessert sich zwangsweise, da man Personen anhand ihrer Stimme und Geräusche (Rüstung, Schellen z.B.) erkennen muss, Wege abgespeichert werden müssen (man hat ja nicht immer jemanden dabei) und viele andere Dinge mehr.
Und:
- Selbstvertrauen oder besser Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wird zum elementaren Antrieb. Es brüllt draußen jemand nach einem Heiler, du bist einer, hast aber niemanden, der dich führt? Ein lautes "Hier!" und das alleine Loslaufen macht allen klar: Du willst da hin. Und schon kommt jemand und hilft dir.
Survival & Hilfsmittel
- Üben, üben und ... üben ;D
Grundsätzliches zur Darstellung
- Der weiße Blindenstock ist eine neuzeitliche Erfindung. Das soll nicht heißen, dass keine Hilfen benutzt werden dürfen. Rechne aber damit, die Probleme eines einfachen Stabs am eigenen Leib zu spüren. Sei es, dass er sich beim Tasten in irgendetwas verfängt oder sich einfach nur im Boden verkeilt. Übung macht hier den Meister.
- Hat man eine ambientige und praktikable Lösung zu schreiben (Stichwort: Braille), ist man schon gut dabei!
- Die Augenbinde sollte vorher eingetragen werden. Dabei bemerkst du frühzeitig Gemeinheiten wie bestimmte Faltenwürfe, die buchstäblich "ins Auge gehen". Augenbinden können z.B. auch sehr unangenehm drücken.
- Stell dich darauf ein, das schwächste Glied einer Gruppe sein. Du bist langsam, kannst dich nicht verteidigen und bist ein tolles Ziel, wenn du mal träumst oder ähnliches. Selbst wenn du aufpasst, bleibst du verletzlich.
- Im Vorfeld hilft es, Blinde beobachtet zu haben. Informiere dich, beobachte, notfalls interviewe Betroffene. Selbst wenn du dir deine Umgebung anschaust, sollte man meinen können, dass du gerade nichts siehst.
Wie benutze ich den Stock?
- Man kann mit dem Langstock "pendeln": Die Spitze bleibt auf dem Boden und gibt damit die Einzelheiten der Oberfläche wieder. Das eignet sich für den Anfänger zum langsamen Laufen, braucht aber für schnellere Bewegungen viiieeel Übung, weil man größere Bereiche ausspart und leichter hängen bleibt. Das ist die beste Technik für selbstständiges Gehen.
- Man kann den Langstock schräg vor sich halten: Mit der Diagonalen kann man die "üblichen" Hindernisse abdecken; Nachteil ist, dass Bodenwellen und Löcher nicht erkannt werden. Empfiehlt sich, wenn man von einem Unerfahrenen geführt wird oder es an der Hand schnell gehen muss.
- Man kann den Stock wie einen Wanderstock benutzen: Das eignet sich nur für halbwegs bekannte Gelände oder Notfälle. Dadurch, dass man das Gebiet vor sich nur grob untersucht, ist die Gefahr eines Sturzes groß.
- Stehenbleiben und stochern hilft dabei, Kanten, Abhänge, Stufen und dergleichen auszumessen und abzuschätzen - was man nur auf ungefährer Fußhöhe tun sollte. Der Wanderer neben dir wird es nicht zu schätzen wissen, deinen Stock in einer "verbotenen Trefferzone" zu haben.
Orientieren
- Feldwege sind meistens dadurch zu erkennen, dass das Gras niedriger ist bzw. dass es zwei ausgefahrene Spuren gibt.
Auf einem Waldweg zu bleiben ist nicht einfach, da die meisten dem Waldboden ähneln. Waldwege zeichnen sich aber dadurch aus, dass keine Bäume drauf stehen
- Waldwege haben außerdem den Nachteil, dass Wurzeln und Steine zu Stolperfalle werden.
- Löcher auf einer Wiese sind eine miese Falle und werden auch mit intensivem Abtasten leicht übersehen.
- Absätze erkennt man mit Hilfe eines Blindenstocks relativ einfach. Man sollte trotzdem nicht zu nahe an eine Kante herangehen, es sei denn, man will sie überwinden. Schnell ist ein Schritt zuviel gemacht.
- Treppen läuft man am besten, in dem man mit dem Stock die Größe der Stufe (Breite, Tiefe/Höhe) abschätzt.
- Hat die Treppe ein Geländer, hilft dieses Anfang, Ende und Verlauf der Treppe abzuschätzen. Bei "normalen" Geländer endet der Handlauf meist knapp hinter der letzten Stufe.
- Beste Strategie zum Zurechtfinden in unbekannten Gebieten: Vorsichtige, kurze Schritte, Stab voran zum Tasten und eine Hand vorgestreckt. So entgehen einem keine Standard-Hindernisse.
- Blinde arbeiten beim Richtungen Beschreiben (z.B. beim Essen) häufig mit einem Uhr-Prinzip. Z.B. 12 Uhr ist oben, 9 Uhr links. Mit ein wenig gemeinsamer Übung und einer Umformulierung auf Himmelsrichtungen kann der Begleiter damit auch "ambientig" Standorte angeben. Auch "genau vor dir" oder "x Schritte entfernt" lassen sich gut umsetzen.
- Nahezu jeder Mensch hat einen leichten Drall, den man ohne Sichtkontakt nicht bemerkt. Rechne damit, um Meter an deinem Ziel vorbeizulaufen.
- Zelte sind eine schöne Orientierungshilfe. Straff gespannte Zeltleinen lassen sich mit dem Stock ertasten und führen dich z.B. auf diesem Weg zum Lagerzentrum.
- Keine Ahnung, wo ich gerade stehe ... Verliert man die Orientierung, muss man ins Ungewisse. Rechne damit, dass du dich "blind" über eine Lichtung tasten musst und nicht weißt, wo es weiter geht. Schummeln sollte hier vermieden werden, ist aber in wirklich unbekannten Gebieten notwendig! Keine SL wird sich freuen, wenn sie dich aus dem nächsten Seeufer oder Graben retten muss.
Die Umgebung wahrnehmen
- Übe, Geräusche zu erkennen und vor allem zu interpretieren. Manche Geräusche nimmt man sehend kaum war und erkennt sie deswegen nicht.
- Weiche Schuhe helfen, den Untergrund besser zu erfassen. Man sollte auch über halbwegs bewegliche/trainierte Fußgelenke verfügen, damit man nicht gleich schmerzhaft umknickt. Bei Regenwetter oder Pfützengefahr sind wasserdichte Schuhe oder ein trainiertes Immunsystem ratsam, da man Pfützen und Schlammlöcher schlecht abschätzen kann.
- Trainiere deine Konzentration. Sei es, dass du ein bestimmtes Geräusch herausfiltern willst oder einfach mal alles um dich ausschalten musst, damit du mit dem Sortieren der Eindrücke beginnen kannst. Notfalls stundenlang!
- In respektvoller Entfernung der Schlachreihe kann man u.U. sogar den Schlachtverlauf hören und dadurch beurteilen, ob Flucht angesagt ist.
Tasten kann man auf verschiedene Arten. Neben dem sachten Darüberstreichen kann man auch einfach herzhaft drauftatschen. Aber schau lieber vorher nach
Tascheninhalt und sonstiger Kram
- IT-Münzen kann man schwer unterscheiden. Man kann z.B. getrennte Fächer einer Tasche nutzen. Mit einem Begleiter sollte es kein Problem sein, die Münzen zu sortieren. Achtung: OT-Münzen haben spezielle Merkmale, IT-Münzen haben sie meistens nicht. Ausnahme: grob gearbeitete Eigenbau-Münzen.
- Trainiere dein Gedächtnis - Taschen verraten nun durch ihren Füllungsgrad, Geruch, Stoffbeschaffenheit etc. ihren Inhalt, Flaschen (und Fläschchen) kann man an Form, Geruch des Inhalts und vielleicht den Stopfen erkennen. Alles in allem eine Menge Eselsbrücken, nur um sich etwas zu merken, was ein Sehender mal eben nachschauen könnte!
- Braille-Schrift ist nicht einfach zu lernen, ermöglicht es aber, Notizen zu machen. Alles andere muss entweder dein Begleiter aufschreiben oder du musst es dir merken! Natürlich kannst du auch ein 26-stelliges Knotenalphabet basteln oder anderweitig kreativ werden ... Angeblich funktionieren auch einfache gegenständliche Merkhilfen, die brauchen allerdings einen gewissen Stauraum.
- Ordnung ist das halbe Leben. Da blinde Suchaktionen sehr gezielt ablaufen müssen, um schnell Erfolg zu haben, sollten die "üblichen Verdächtigen" zum einen an festen Orten zu finden, zum anderen sortiert sein. Chaos kostet Zeit.
Essen und Trinken
- Kleckern wird immer wieder vorkommen. Sei es, dass man das Salatblatt mit reichlich Soße nicht richtig erwischt hat oder die Suppe vom Löffel tropft. Natürlich kann man das umgehen, beraubt sich dabei aber der einen oder anderen warmen Mahlzeit ...
- Um alles vom Teller zu bekommen, kann man in "uneleganter" Umgebung auch schonmal die Finger benutzen.
- Einschenken ist mit ein bisschen Übung sehr einfach. Standard-Routine ist, den Finger im Gefäß zu haben (wann ist der Becher voll?) und die Karaffe/Flasche/... im Kontakt mit dem Gefäß zu halten.
- Vorsicht bei heißen Getränken! Hier ist es besser, entweder sehr vorsichtig anzufassen (schon eingeschenkt) oder sehr langsam einzugießen und den Stand an der Erwärmung des Gefäßes festzumachen.
Interaktion
- Ein (geduldiger) Begleiter ist Gold wert. Er kann dich führen, Plotlöcher überbrücken, dich mit anderen bekannt machen ... Achte aber darauf, dass er nicht dein Sprachrohr wird (es sei denn, es gehört zur Rolle)! Dann nämlich spricht keiner mehr mit dir.
- Kämpfen ist (aus offensichtlichen Gründen) nahezu nicht möglich. Sollte es zu einem Angriff kommen, reiße bitte nicht den Stab hoch und fuchtele damit, in der Hoffnung jemanden zu treffen. Stiller Rückzug ist hier angebrachter.
Rennt eine Orkhorde oder ähnliches auf dich zu, mache dir bewusst, dass du jetzt nicht in den Wald sprinten kannst. Um Hilfe schreien bringt einen allerdings manchmal schon weiter Auch das erfürchtige Hockenbleiben am Rand kann ausreichen, um übersehen zu werden. Achte dann aber drauf, dass man dich als IT wahrnimmt.
- Im Kampf bzw. wenn man in einen Kampf verwickelt wird: Augen auf! Es ist zu gefährlich, hier, nur um konsequent zu bleiben, weiterhin die Augen zu schließen.
- U.U. versucht ein Heiler, deine Augen zu "reparieren". Wenn man das nicht möchte, sollte man eine gute Begründung haben, warum man das nicht will oder das nicht funktioniert.(z.B. göttliche Intervention)
- Diebe sind die schwierigsten Feinde eines Blinden. Ein geschickter Dieb nimmt die Tasche so geräuschlos vom Tisch, dass du es nicht bemerkst. Halte deine Habseligeiten also entweder bei dir oder sprich dich mit deinem Begleiter ab.
DON'Ts
- Geburts-Blindheit (ist überaus schwer darzustellen)
- Jedem erzählen, dass man blind ist (Nervt! Wer es wissen will, kann sich mit dir unterhalten!)
Augenbinde zwischendurch (InTime) abnehmen und vielleicht sogar noch umgucken
- Den Vorteil der durchsichtigen Binde ausnutzen (wirklich ausnutzen) - und schummeln
- Vor der NSC-Welle sprintend in den (unbekannten) Wald flüchten (am besten noch im Slalom um die Bäume)
- Sich angewöhnen, durch den Begleiter zu sprechen (ausgenommen, es gehört zum Konzept)
- Kampfzauber, die ein Zielen erfordern
- Mit dem Blindenstock herumfuchteln
DOs
- Klar stellen, dass du OT sehen kannst (falls das der Fall ist - logo, oder?)
- Selbst wenn du durch die Augenbinde schummelst, spiel weiter den Blinden!
Sei (im richtigen Maße) konsequent - blind ist blind . Egal, ob du sehend als Erster in der Essens-Schlange stehend könntest.
- Sicherheit geht vor: Niemand wird es krumm nehmen, wenn du den Abstieg von der Klippe entsprechend absicherst.
Und ein Wort zum Schluss: Genieße die Erfahrung, deine Umwelt und das Spiel einmal vollkommen anders wahrzunehmen. Ich hatte sehr viel Spaß daran und hoffe, du hast ihn auch.
-- Ineksi, 04.09.2007
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