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ReenactmentErläuterung

Reenactment Erläuterung

Also, die von mir gepostete Meinung gibt die vorherrschende Meinung innerhalb von Gruppen wie etwa der Company of St. George, dem Nürnberger Aufgebot 1474, Bauer und Bonde, Torechtes Leben etc. wieder (Wer es nicht weiß, das sind einige der bekanntesten und angesehensten Spätmittelalter-Reenactment Gruppen hierzulande, die speziell unter Museen eine gewisse Reputation haben). Wenn jemand mir jetzt erzählen will das sei alles ganz anders, dann muß der schon mit etwas mehr Fleisch antreten als einfach nur einer Formulierung wie etwa dieser:

"Entgegen der im LARP-Bereich haüfig anzutreffenden Meinung sind Sätze wie "Hätte so sein können!" "Die waren doch damals auch nicht blöd!" und "Aber nur weil man nix entsprechendes gefunden hat heißt das nicht, daß es das nicht gab!" NICHT die großen No-Nos? der meisten Reenactment-gruppen, sondern voll akzeptierte Meinungen der meisten Reenactor"

oder

"Leute verkleiden sich wie die Menschen einer hist. Epoche und versuchen, ein paar Tage (also für die Länge eines Treffens) der Vergangenheit nahe zu sein. Es gibt, entgegen der Meinung vieler LARPer, im Reenactment sehr wohl Rollenspielelemente, wenngleich in Deutschland weniger als im Rest der Welt. Im Reenactment werden auch historische Armeen dargestellt, und einige wichtige hist. Schlachten werden dann für die Darsteller und Zuschauer nachgestellt (Auch wenn man sich nicht sklavisch an den originalen Ablauf hält). Aber es gibt unzählige Treffen ohne besonderen Grund, um sich zu treffen und in die Geschichte tauchen zu können."

DAS ist nämlich hanebüchener Unfug, der die erwähnten Gruppen zu wahren Lachsalven fordert. Das hat so wenig mit Reenactment hier in .de zu tun wie Insektensammeln mit Entomologie. Was "viele Larper" denken interessiert mich hier weniger, ich schreibe hier als Reenactor.

Es mag ja sein, daß unter dem großen internationalen Dach der "Living History" andernorts so manches merkwürdige Pflänzlein gedeiht, aber hierzulande (und da weise ich gerne mal auf die URL dieses Wikis hin) ist eine klare Teilung wahrnehmbar. Ich weise gerne jedem, der sich von der Richtigkeit der oben in Frage gestellten Aussage überzeugen will, den Weg ins Tempus Vivit Forum, wo ein schlichtes "die waren doch damals auch nicht blöd" derart heftige Flamewars erzeigt, daß einem die Tastatur wegschmilzt. Soviel zum Thema "die meisten Reenactoren". Es sind meist nur die Betreiber des Marktmittelalters oder sonstige Leute aus dem Umfeld, die verkennen, daß der Anspruch des Reenactments in .de ein völlig Anderer ist, der Spaß existiert hier nicht in dem "Hineintauchen in eine andere Zeit (in die Geschichte)" sondern fast ausschließlich in Recherche und Recreation existenter Realien. Daß Gruppen wie die SCA oder auch diverse auf MA Märkten anzutreffende Gruppierungen hier und anderswo das etwas differenzierter zu sehen wünschen ist offensichtlich, die Entwicklung wie sie nun mal stattfand hat trotzdem eine sehr deutliche Trennung herbeigeführt. Oder, wie es Dietrich Pott, der Geschützmeister der Company of St. George gerne ausdrückt: "Spaß? Wer hat geagt, daß unser Hobby Spaß machen soll?". Was er damit meint ist natürlich nicht, daß man Reenactment nur bierernst betreiben darf, sondern daß Reenactment einen komplett anderen Denkansatz erfordert als eben mal ein "Eintauchen in die Geschichte". Die Besucher von Reenactment Veranstaltungen sollen eventuell "Geschichte zum Anfassen" erhalten, aber es ist weltfremd, wenn man versucht zu viel in die Darstellung hineinzuinterpretieren. Dazu weiß man viel zu wenig über das reale Mittelalter und alle Spekulationen führen unweigerlich zur Vermengung moderner Ansichten mit historischem Kontext.

Allerdings darf man nicht übersehen, daß die strikte Trennung wie sie im Mittelalterbereich stattfindet in der Darstellung späterer Epochen natürlich unter der Nähe an der Jetztzeit leidet. Wenn im Mittelalter ein Reenactor noch sehr einfach zwischen dem historisch Nachweisbaren und seiner modernen Figur unterscheiden kann wird dies immer schwieriger, je näher die dargestellte Zeit der unseren ist. Deswegen werden automatisch immer mehr "moderne" Elemente einfließen und die Grenzen verschwimmen. Im rein mittelalterlichen Reenactment ist das Fehlen realer Quellen über "die innere Erlebniswelt der dargestellten Figur" die Begrenzung der Darstellung in sich, je näher dies unserer Zeit kommt, desto einfacher ist es die Lücke zu füllen und bereits in der Darstellung napoleonischer Kriege ist der moderne Mensch so nah, daß es einen spürbaren Übergang zum "Komplettspiel" gibt, also nicht nur die historisch belegten Dinge nachgestellt werden, sondern auch allfällige Alltagshandlungen scheinbar authentisch erfolgen. Ob dies im Sinne einer historischen Erfahrung sinnvoll ist muß jede Gruppe für sich selber entscheiden.

Kleiner Hinweis zur Darstellungsqualität: Interessierte, die die Unterschiede zwischen Reenactoren und Marktdarstellern mal gerne selber erfahren möchten, fragen auf einem beliebigen Event die dortigen Gruppen nach deren Ansicht zu "Steckstühlen". Gemeint sind die aus 2 Holzbohlen zusammengesteckten, einfachen Sitzmöbel. Die Antworten helfen bei der Beurteilung der jeweiligen Gruppe sehr weiter, selbst wenn diese gar keine derartigen Möbel benutzen.

-- FredSchwohl, RalfHüls (ed.)


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