Über das 7. Manifest und den Hochmut
Aus der Legende des heiligen Swidbert:
- Auf seinen Reisen zog der heilige Swidbert auch durch Diez, das damals noch nicht zu Oschenheim gehörte. Wie Swidbert sich nun aber den Diezer Toren näherte, hatten die Diezer Leute schon von dem Reisenden gehört, der Hilarii Wort verkündete und weil nur wenige von ihnen auch nur den Lehren Ceridons und der alten Propheten folgten und viele unter ihnen waren, die noch dem Zei-Glauben anhingen, schlugen sie ihm kurzerhand das Stadttor von Diez so fest vor der Nase zu, daß es ihm vor die Stirn schlug. Swidbert erzürnte und predigte ihnen mit lauter Stimme. Und obgleich er vor den Toren stand und sprach, konnten doch alle Männer, Frauen und Kinder von Diez hören, wie er ihnen von den Manifesten und den Taten der Heiligen berichtete. Doch sie waren verstockt und öffneten ihm nicht das Tor. Und so zog er von dannen, nachdem er Ihnen gepredigt hatte und nur wenige in Diez nahmen die Saat seiner Worte auf. Doch seitdem sagt man den Diezern nach, daß sie mit einer flachen Stirn zur Welt kommen, womit der Eyne sie an das siebte Manifest gemahnt.
"7. Erstrebe die Gunst des Einen, denn Er ist der ewige Richter über Leben und Jenseits."
Auch von diesem Manifest hat der heilige Swidbert den Diezern gepredigt, die trotz ihres Zei-Glaubens sicherlich ein braves Leben geführt haben. Ein Leben, wie auch die heutigen Oschenheimer es führen: halbwegs ordentlich, einigermaßen ehrbar und fleißig, mehr oder weniger rechtschaffen aber zugleich auch immer durchsetzt von viel rücksichtslosem Eigennutz und ausgestattet mit einiger Streitlust. So leben wir vielleicht nicht alle Tage aber ganz gewiß viele Tage: heute artig, morgen weniger artig und übermorgen schlagen wir über die Stränge.
Ein solches Leben braucht Orientierung, es hat Orientierung bitter nötig. Und es bekommt Orientierung: orientiert Euch an den Manifesten und den Geschichten der Propheten, predigte der heilige Swidbert den Diezern, bei denen es offenbar nicht anders war, als bei uns.
Man will etwas darstellen. Man blickt auf andere herab. Die Selbstsucht wird gepflegt. Man will nur zu gern immer noch höher hinaus nach ganz oben: dahin, wo man dem Einen immer ähnlicher zu werden und dennoch nie genug von ihm zu haben meint. Ein Höhenrausch, in dem ich nur noch mich selbst wahrnehme und die anderen, die unten, zwangsläufig aus den Augen verliere.
Wir nehmen freilich, wenn wir an den Einen denken zuerst jenen Satz wahr: er ist der Einzige und Wahre. So denkt man sich den Schöpfer der Welt: ewig, allmächtig, allwissend und eben ganz und gar frei. Ach, das müßte schön sein, mag sich da etwas in uns sagen. Wer träumt nicht manchmal davon? Immer noch ein wenig wissender und kraft des wachsenden wissens dem Eynen Schritt für Schritt immer noch näher kommend. Und genau das hat dann auch schon der Bozephalus seinen Schergen in Aussicht gestellt: ewig zu sein, allwissend, allmächtig und ganz und gar frei: "Ihr werdet sein, wie der Eine!"
Und doch lauert hier nichts anderes, als die neunte Versuchung: Hüte Dich vor Eitelkeit, Ruhmsucht und Selbstanbetung oder Dein Sturz ist tief, denn es gibt nur einen, der des wahren Lobes würdig ist. Wer sich selbst erhöht, den wird unweigerlich der Eine erniedrigen, denn vor Ihm muß jeder weltliche Glanz verblassen. Wie auch der Eine nach der Legende die Diezer erniedrigt hat, weil sie seinen Diener Swidbert gering achteten. Daher soll man sich dieser Eitelkeiten entschlagen und sich nach den Manifesten und Weisungen richten, damit der Eine ein Gefallen an uns findet, wenn wir dereinst vor die Seelenwaage treten.
Bruder Rafael Weydehardt, Orden des Hl. Hilarius, am 13. des elften Monats im Jahre 114 nach Hilarii Erleuchtung, in der Abtei St. Maternus zu Oschenheim.
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