Dieser Text beschreibt die Schaffung eines Larplandes von oben nach unten (top-down) aus Basis stringenter Überlegungen, die historische Vorbilder benutzen. Einige kritische Anmerkungen und ein anderer Gestaltungsansatz findet sich unter Gegenrede Larpland gründen.
Wie gründet man ein Larpland?
Im Gründungsprozess jeder neuen Larpgruppe stellt sich die Frage: Wo kommen wir eigentlich her? Es wird ein wenig hin und her überlegt, mit Ideen gespielt, und schließlich kommt jemand auf den Gedanken: "Hey, warum erfinden wir kein eigenes Land?"
Leider ist nur wenigen bewußt, wie viel Aufwand man betreiben muß, um ein stimmiges und schlüssiges Hintergrundkonzept zu erstellen. Im Folgenden möchte ich Schritt für Schritt den Erschaffungsprozess beleuchten, wie ich ihn vollziehe. Natürlich muß die Reihenfolge nicht sklavisch eingehalten werden, aber die Grundfragestellungen können vielleicht weiterhelfen.
Ist ein neues Land nötig?
Die Frage ist nicht so absurd, wie sie auf den ersten Blick scheint. Im ersten Brainstorming ergeben sich meistens die Grundkonzepte, die für die eigene Gruppe interessant sind. Aber anstatt jetzt direkt anzufangen, den Hintergrund festzulegen, sollte man sich folgende Frage stellen:
Ist es nötig, für dieses Konzept ein komplett neues Land zu erschaffen, oder kann man sich nicht einfacher einem bestehenden Land anschließen?
Seht euch erst einmal um, was es bereits gibt. Gute erste Anlaufpunkte sind LarpLänder, LarpKampagnen und die Homepages der größeren LarpKampagnen. Egal, was ihr euch vorstellt, es wird mindestens ein Land geben, das ein ähnliches, wenn nicht sogar gleiches Konzept hat. Sprecht mit den Orgas, stellt fest, ob euch die Spieler sympathisch sind, und wenn alles passt, schließt euch einfach an.
Das hat mehrere Vorteile. Zum einen ist der Erkennungsfaktor eines etablierten Landes höher. Man kann euch direkt zuordnen und ihr müsst nicht erst jedem erklären, wie es in eurem neuen Land aussieht. Zum anderen habt ihr damit direkt einen Anknüpfungspunkt an eine größere Spielerschaft, die den Hintergrund mit euch teilt, sowie an eine Orga, die in den meisten Fällen auch Cons auf eben jenem Hintergrund veranstaltet.
Natürlich muß man sich dann auch ein wenig anpassen, um wirklich mitspielen zu können. Die Grundfrage ist allerdings, ob die eigene Idee jetzt so toll/neu/einmalig ist, daß man ein neues Land für 3 Spieler erschaffen muß. Letztlich erspart ihr euch viel Mühe (und wahrscheinlich auch Ablehnung in diversen LarpForen), wenn ihr bereit seid, eine bestehende Idee aufzugreifen.
Was soll der Hintergrund leisten?
Wenn ihr dann doch den eigenen Hintergrund erstellen wollt, steht am Anfang die Definition der Ziele. Was soll der Hintergrund euch im Spiel konkret bringen? Da gibt es mehrere Punkte:
- Identifikation/Zusammenhalt für Charaktere
- Kulturelle Prägung für Charaktere
- Organisationsplattform für eigene Cons
- Hintergrundhilfe für Charaktere
- Der Charakter soll durch den Hintergrund lebendiger wirken
- Simulation von Politik-/Adelsspiel
Vielleicht gibt es für euch auch andere Gründe. Fasst eure Ziele zusammen, und macht euch dann an die weitere Arbeit.
Geographie
Der erste Schritt ist der spielerischste: Namen ausdenken, aufschreiben, eine vorläufige Karte erstellen, Orte, Städte, wichtige Landmarken ...
Die Geographie des zukünftigen Landes bringt meist direkt neue Ideen für den Hintergrund. Insofern ist die vorläufige Karte erst einmal eine Hilfe für die folgenden Schritte. Man sollte auch nicht zögern, im späteren Verlauf die Karte den Entwicklungen anzupassen. Letztlich ist die Karte nämlich der unwichtigste Punkt des späteren Gesamtwerks.
Ein Beispiel: Bei der ersten Rohzeichnung der Karte wird die Hauptstadt des Reichs A zentral platziert. Im späteren Verlauf der Erschaffung stellt man fest, daß die Hauptstadt von reichen Händlern bewohnt wird. Nun ist Reich A aber an drei Seiten von hohen Bergen umgeben, an der anderen Seite liegt die Küste. Eine Verlegung der Hauptstadt an die Küste ist also im Nachhinein sinnvoll.
Herrschaftssystem
Ob feudale Monarchie, Händlerbund, römische Republik, es lohnt sich als erstes, Informationen zu sammeln. Geschichtsbücher wirken hier wahre Wunder. Ich höre schon die "Mach doch Reenactment"-Rufe, also zur Begründung: Ihr verschenkt einfach viel Potenzial, das den Hintergrund lebendiger werden lässt.
Natürlich kann man eine einfache Lehenshierarchie nutzen (König-Graf-Baron-Ritter). Man kann aber auch mit komplexen Abhängigkeiten arbeiten (Kronvasallen, nahezu unabhängigen Territorialfürsten, etc.). Wie auch immer man das Konzept anlegt, denkt über die Spielbarkeit nach. Eine Gruppe von 10 Spielern kann keine 15 Herzöge bespielen. Soll der Hochadel nur als NSCs im Hintergrund agieren? Oder soll langfristig jede Hochadelsrolle besetzt werden? Im zweiten Fall sollte man unter Umständen auf einige Herzöge verzichten.
Denkt darüber nach, was die Macht eurer Herrscher definiert. In einer pseudomittelalterlichen Gesellschaft ist Land gleich Macht. Landbesitz bestimmt die finanziellen Mittel und die Streitmacht. Also sollte im Zweifel auch der Herrscher nicht alles Land als Lehen vergeben (vergl. die salische Hausmacht in Sachsen im 12. Jahrhundert und die Anstregungen der Kaiser, diese zu sichern). Ein Herrscher ohne großen Eigenbesitz ist von seinen hohen Adeligen abhängig (vergl. das kapetingische Frankreich).
Wo liegt das Gewaltmonopol? Hat nur der Herrscher bewaffnete Truppen? Was macht dann der Adel, die klassische "Kriegerschicht"? Luxusleben am Hofe, wie bei Ludwig XIV.? Wenn der Adel entmachtet wurde, wie steht es um rebellische Tendenzen/Untergrundaktivitäten?
Bei einem klassischeren Bild: Wie geht man mit dem Adel um? Kann der Herrscher den Adel "bei der Stange" halten? Oder kommt es ab und zu zu bewaffneten Auseinandersetzungen? Kann der Herrscher frei agieren, oder muß er auf die Stimmung im Adel achten?
Wenn der Herrscher seine Macht teilen muß, warum tut er dies? Kein König umgibt sich freiwillig mit einer Institution (z.B. einem Rat), die seine Befugnisse einschränkt. Gab es einen Aufstand (vergl. das Zustandekommen der Magna Charta in England 1215)? Ist er von der Unterstützung anderer abhängig? Legt nicht einfach so fest, daß etwas so ist, sondern denkt auch über das Warum nach.
Welche anderen Parteien gibt es im Land? Bürgertum und Kirche können politischen Einfluß ausüben. Wer kommt noch in Frage, und wie nutzen sie diesen Einfluß? Mächtige Magiergilden könnten ein Beispiel sein, Ritterorden oder ähnliches.
Spielt ein wenig mit dem Beziehungsgeflecht der verschiedenen Machtblöcke. Politische Spannung kann ein toller Spielansatz sein, also lohnt sich hier eine gründliche Ausarbeitung.
Ein Beispiel: Der König von Reich A hält viel Land und kann eine große Streitmacht aufstellen. Allerding können das seine fünf Herzöge auch. Deshalb muß der König einmal im Jahr die Herzöge zum Hoftag rufen, um seine bestimmte Gesetze zu erlassen. Da die Kirche im Reich ebenfalls recht mächtig ist (nicht durch Landbesitz, sondern durch enormen moralischen Einfluß) nehmen auch eingie Würdenträger an den Hoftagen teil. Schließlich ist da noch Orden B, der durch enorme Popularität zwar Einfluß ausübt, aber nicht in die offizielle Herrschaftstruktur eingegliedert ist.
Kultur und Tradition
Jetzt weiß man also ungefähr, wie das Land aussieht und wie es regiert wird. aber was macht den Einwohner aus Reich A jetzt wirklich aus? Erziehung und gesellschaftliche Normen prägen jeden Menschen, und mit einem Larp-Charakter sollte das nicht anders sein. Man nehme einfach Beispiele aus der Realität: In Deutschland begrüßt man sich per Handschlag, in Japan verbeugt man sich. Gläubige Katholiken essen freitags Fisch, Hindus generell kein Fleisch von Kühen. Der Punkt sollte ungefähr klar sein.
Wie geht also die Gesellschaft des neuen Landes mit diversen gesellschaftlichen Themen um? Was ist besonders?
- Geburt
- Tod und Beerdigung
- Heirat
- Familie
- Recht und Gesetz
- Religion
- Feiertage
- Lieder, Geschichten und Gedichte
An diesem Punkt muß man sich auch überlegen, wie ein durchschnittliches Leben im neuen Land aussieht. Was sind die Lebenswelten von Adel, Klerus und Volk? Welche moralischen Vorstellungen erwachsen daraus? Solche Überlegungen helfen enorm dabei, den Charakteren im Spiel Leben einzuhauchen.
Ein Beispiel: In Reich A ist es an der Tagesordnung, daß Frauen durch ihren Vater in jungen Jahren versprochen und später verheiratet werden. Ein Charakter aus diesem Land wird also mit Unverständnis reagieren, wenn in einem anderen Land eine Frau ihren Ehemann selbst aussuchen darf. Unter Umständen ist das Konzept der romantischen Liebe für ihn sogar unnötige Gefühlsduselei.
Religion
Religion habe ich zwar unter Kultur schon aufgeführt, aber die Religion eines Landes ist auch darüber hinaus wichtig. In einer Theokratie sollte das eindeutig sein, aber auch sonst kann eine Landeskirche großen Einfluß ausüben. Gute Beispiele hierfür findet man wieder in unserer Geschichte: Erzbischöfe als Kurfürsten im Hl. Römischen Reich, Bischöfe als Lord Treasurer oder Chancellor in England.
Aber die Festlegung kirchlicher Organisationsformen kann auch ein spannendes Spiel innerhalb der Kirche ermöglichen. In den oberen Rängen der Hierarchie kann Machtpolitik und Intrige durchaus eine Rolle spielen. Aber auch die Kirchenlehre bietet diverse Spielansätze. Konzile, Synoden, Schisma, alles kann im Spiel zum Thema werden, wenn man die Grundlagen richtig legt.
Eine andere Frage ist ungleich wichtiger: Welche Rolle soll die Kirche spielen? Fanatisch oder vergebend? Inquisition oder Friedfertigkeit? Eine fanatische Religion kann Spielansätze zu anderen Gruppen schnell unterbinden, eine zu friedfertige Kirche mag manchem Spieler zu "weich" sein. Ein Balanceakt.
Aber muß es eine komplett neue Religion sein? Es gibt diverse gut ausgearbeitete Religionen, die man für sich verwenden kann. Das Ceridentum ist hier nur ein Beispiel. Man muß sich einfach nur umsehen, was in den diversen Larpländern vorhanden ist. Realreligionen sollte man allerdings tunlichst vermeiden, bevor man sich nicht gründlich über die anhaltende Debatte diesbezüglich informiert hat. Diverse LarpForen sind da eine nützliche Anlaufstelle.
Geschichte
Jetzt geht es an die Substanz: Was ist in der Vergangenheit geschehen? Die Vergangenheit bestimmt die Gegenwart. Hier müsst ihr erklären, warum euer Land ist, wie es ist.
Und wieder verweise ich auf die reale Geschichte. Aufstände, Seuchen, Kriege, ihr könnt euch wieder einmal austoben. Denkt aber immer an eins: Geschichte basiert auf dem Prinzip Aktion-Reaktion. Alles, was passiert, zieht eine Reaktion nach sich. Deshalb ist es auch sinnvoll, nicht mit einer Zeitleiste zu arbeiten, sondern sich die Mühe zu machen, alles auszuformulieren. Behaltet eure Machtgruppen und Fraktionen im Auge und denkt über deren Haltung in bestimmten Situationen nach.
Hier verbergen sich wieder diverse Spielansätze. Geschmähte Adelsgeschlechter können die Macht ergreifen wollen. Die Kirche will verlorene Ländereien zurück gewinnen, und so weiter. Aus der Geschichte können auch interessante Hintergrunddokumente für eure Veranstaltungen entstehen, Lehensurkunden und Gesetzestexte zum Beispiel.
Denkt auch daran, daß die Geisteshaltung des Mittalalters eine andere war. Zum Beispiel war es gängig, nach einem Aufstand den Aufständischen Gnade zu gewähren (z.B. bei den Aufständen der Söhne Henrys II. gegen ihren Vater, oder nach den Aufständen gegen John Lackland 1215). Geschichte kann also auch Ereignisse umfassen, die heute als umwälzend empfunden würden, ohne es in eurem Land zwangsweise ebenfalls zu sein.
Für den Perfektionisten
Nach der Geschichte sollte eure Land in einem Umfang stehen, daß ein ordentliches Spiel vor dem neuen Hintergrund ermöglicht. Allerdings hat die Geschichte vielleicht viele Details aufgeworfen, die angepasst werden müssen?
Der Perfektionist beginnt jetzt mit der Überarbeitung. Und wird wahrscheinlich nie damit aufhören, denn ein bespieltes Land entwicklet sich immer weiter. Der ernsthafte Welterschaffer ist also niemals mit seinem Werk fertig.
Was weiter?
Euer Land steht, also spielt erstmal damit. Vieles wird sich allein durch die Spielrealität wieder ändern. Gerade, wenn das Land als Hintergrund für Cons dient, kann einiges verschoben werden.
Denkt über eine sinnvolle Präsentation eures Landes für Fremde und Neue nach.
Wenn alles läuft, kann man über einen Kampagnenbeitritt nachdenken. Wie man in eine LarpKampagne eintritt, findet ihr auf deren Homepage beschrieben. Natürlich nur, wenn euch ein Beitritt sinnvoll erscheint, denn mit diversen Vorteilen geht ihr damit auch Verpflichtungen ein.
Ansonsten bleibt nur zu hoffen, daß weitere Spieler euer Land bereichern werden und ihr mit eurem neuen Konzept viel erfolg haben werdet.
Ein Wort zum Detailgrad
Wie detailverliebt ihr arbeitet, ist letztlich eine Frage eures eigenen Anspruchs. Ich bin allerdings der Meinung, je mehr Details, desto besser.
Ein guter Hintergrund muß es meiner Ansicht nach leisten, eine Lebenssimulation für die ansässigen Charaktere zu ermöglichen. Dazu braucht es nun diverse Details, gerade im Bereich Kultur und Tradition. Aktives Politik- und Intrigenspiel ist ohne sorgfältig ausgearbeite Herrschaftsstrukturen unmöglich. Wenn der Spieler das Gefühl hat, der Charakter lebt in seinem Heimatland, dann ist die Detailfülle genau richtig.
Andererseits sollte man eine Länderbeschreibung aber nicht mit einem Haufen Details überfrachten, die im Spiel keine konkrete Anwendung finden können. Es gibt keinen Grund, die Stammbäume von zehn Generationen der siebzehn Adelsgeschlechter aufzumalen, wenn die Hauptfiguren aus zwei oder drei Familien ausreichen, um die Fehde, vor deren Hintergrund das Intrigenspiel stattfinden soll, darzustellen. Details sollten dann eingebracht werden, wenn sie im Spiel gebraucht werden. Tote Fakten in irgendeinem Word-Dokument auf dem Orga-Rechner oder auf irgendeiner Webseite nützen niemandem.
Denkt auch darüber nach, daß ihr mit einem Hintergrundland eine Einschränkung ins Spiel bringt! Ein Erzmagier passt nicht nach Oschenheim, ein Ork nicht nach Valconnan. Wenn eine Landesorga alles zulässt, was die Spieler möchten, verwässert sich das Grundkonzept bis zur Unkenntlichkeit und wird im schlimmsten Falle an zu unterschiedlichen Spielauffassungen zerbrechen. Setzt also Grenzen und stellt euch darauf ein, diese auch durchzusetzen. Als Orga muß man den Mut haben, zu unpassenden Konzepten "Nein" sagen zu können.
Fantasyrassen
Bisher bin ich nicht auf Fantasyrassen eingegangen. Das hat einen einfachen Grund: Es ist schwer genug, menschliche Gesellschaften konsistent zu erschaffen, ohne fremde Denkweisen einzubeziehen.
Solltet ihr aber dennoch Fantasyrassen einbauen wollen, macht euch Gedanken darüber, wie sie in das Land eingegliedert sind. Leben sie autark und zurückgezogen? Haben sie die allegemeine Lebensweise angenommen? Diese Überlegungen müssen über das einfache "50% Menschen, 25% Elfen, 25% Sonstige" deutlich hinaus gehen.
Fazit
Letztlich sind dies nur Tipps und eine Darlegung meiner Sichtweise. Wie ihr damit umgeht, bleibt eure Sache. Solange ihr als oberste Prämisse immer "Sich Mühe geben" im Sinn habt, kann eigentlich nicht allzuviel schief gehen.
- - StefanB, am 16.01.2006