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Meinung: Warum gespielte Vergewaltigungen möglich sein sollten

Der folgende Text entstand aus einer Diskussion mit MelaEckenfels heraus. Mittlerweile sind mir sogar noch weitere Punkte pro eingefallen, die ich aber aus Unlust heraus nicht aufgeführt habe. Wenn Interesse besteht, dann führe ich meine Argumente gerne weiter aus. Bei allem, was hier steht, möchte ich auf einen kleinen Umstand hinweisen: Ich vergewaltige nicht. Wenn ich vergewaltigt haben sollte, so liegt das in der Grauzone der Definition, die durch die Wahrnehmung der Beteiligten entsteht. Ich befürworte keine OutTime-Vergewaltigungen. Ich empfinde InTime-Vergewaltigungen zwar als geschmacklos, aber das sind viele andere IT-Handlungen auch. Eine IT-Vergewaltigung käme für meine selbstgebastelten Charaktere nicht infrage. Das war also der Disclaimer ...

Bedenken

Auch ich habe gewisse Bedenken bei sowas, aber letztlich gibt es einige Überlegungen, die es schwermachen, eine Regel zu finden, die manche Handlung erlaubt, andere aber verbietet.

Was ist eigentlich das Problem?

Als SL bietet man den Spielern die Möglichkeit, Charaktere zu entwerfen und diese auch zu spielen; sie in Interaktion mit andere Charaktere zu bringen. Die Handlungsmöglichkeiten eines Charakters sind allgemein durch die Darstellbarkeit auf der einen Seite und durch die Regeln auf der anderen Seite begrenzt. Ein Spieler, der eine der beiden Seite durchstößt, gehört im mindesten von der SL ermahnt (z.B. die Darstellung durch tatsächliche Handlung ersetzt).

Was nicht dargestellt werden kann, ist durch Regeln ins Spiel integriert, z.B. die Auswirkungen von Magie, die Wirkung von Giften usw. Da Vergewaltigungen ja durchaus dargestellt werden können, bedürfen sie keiner Regelung. Aber aus welchem Grunde sollte es eine Regel geben, die eine solche Darstellung untersagt?

Der Gedanke dahinter ist eine Moral, der wir OT folgen und die Allgemeingültigkeit besitzt. Die Idee, die Darstellung einer Vergewaltigung zu verbieten, scheint zu sein, daß man a) Personen eine Erinnerung an ihre eigene Vergewaltigung ersparen möchte, b) Personen den Gedanken an eine Vergewaltigung und die damit einhergehende Phantasie ersparen möchte oder c) das eigene Gewissen unbelastet und rein halten möchte, da man es hätte geschehen lassen, also seine eigene Moral nicht auf die Probe stellen zu müssen.

Zu a) und b): Diese Personen haben sehr wohl die Möglichkeit von solchen Ereignissen unbehelligt zu bleiben, indem diese die SL im Vorfeld einer solchen Handlung informieren (so sie geplant ist) oder eben "STOP!" rufen, sollten sie dennoch Zeuge oder gar Opfer einer solchen Handlung werden. Gerade letzter Punkt wurde sehr oft erwähnt und ich denke, kein Spieler wird es jemanden übelnehmen, von dem Recht auf "STOP!" Gebrauch gemacht zu haben.

Desweiteren muß jeder Teilnehmer am Rollenspiel auch eine emotionale Stabilität besitzen, die den vielfältigen Möglichkeiten der Darstellung von Grausamkeiten gewachsen ist. Eine SL wird den Spielern in den seltensten Fällen im Vorfeld mitteilen, was genau sie auf einer Veranstaltung erwartet. So manche Plothandlung setzt eine liebevoll geplante und im Spiel dargestellte Grausamkeit (was für jeden wieder etwas anderes bedeuten kann) voraus.

Zu c) Moralische Unbehelligtheit ist insofern wohl kaum ein Argument, da man im Spiel jeder Menge Situationen ausgesetzt ist, die nicht nur nach eigenen, persönlichen OT-Moralvorstellungen fragwürdig sind, sondern man selbst an Handlungen teilnimmt, die irgendjemandes Moralvorstellungen berühren oder gar verletzen können. Einem Moslem dürften z.B. die zahlreichen Saufgelage unangenehm sein, jeder Menge Personen ist der Konsum von Hasch -oder gar härterem- unangenehm (der auch noch OT verboten ist), fast genausovielen gehört das jedoch zu einem guten Tag. Andere Spieler nehmen das Spiel so ernst, daß sie ihrer fiktiven Gottheit huldigen, was anderen schon nach Verletzung eines der zehn Gebote riecht.

Es gibt immer jemanden, der zu einer bestimmten Handlung sagen kann, daß sie moralisch verwerflich sei und bitte unterlassen bleibe. Wenn wir uns dann auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt haben, dann können wir feststellen, daß wir gleich wieder nach Hause fahren können, da Konflikte ein elementarer Bestandteil einer jeden Handlung sind - aber zu Konflikten würde es nicht mehr führen, da der kgN dies effektiv unterbindet.

Moral in Spiel und Wirklichkeit

Die Möglichkeit zum moralischen Handeln setzt immer voraus, daß es die Möglichkeit zum amoralischen Handeln gibt, dem sich die moralische Handlung entgegenstellen kann. Personen, in diesem speziellen Falle in der Regel Frauen aber nicht ausschließlich, sollten ihre Charaktere so spielen, daß sie vor solchen Handlungen wie Vergewaltigungen geschützt sind. Die Möglichkeit zur Vergewaltigung im Spiel bietet also auch die Möglichkeit, daß starke, kräftige Männer Schutz bieten, im Notfall eingreifen oder im nachhinein Rache üben können. Wenn im Spiel sehr klar ist, daß eine Vergewaltigung ein Verbrechen ist, werden potentielle Täter wohl auch abgeschreckt.

Jede Handlung bietet eine Möglichkeit zum Spiel, die Du sowohl IT als auch OT begründen kannst, wenn Dein Charakter einer ähnlichen Moral folgt wie Du. Du und alle anderen können auch Charaktere entwerfen, die einer sehr fremdartigen Moral folgen, nur um sie am Widerstand der allgemein verbreiteten Moral zu zerschreddern. Das sind Möglichkeiten, aus denen Spiel entstehen kann. Warum sollte man diese verbieten?

Artus wurde auch nach einer Interpretation als Folge einer Schändung geboren. Sein Gegenspieler Mordred wurde durch Inzest gezeugt. Aus beiden Geschehnissen haben sich tolle Geschichten entwickelt. Nach Deinem Verständnis wäre schon der erste Akt zu vermeiden gewesen und die ganze Sage hätte nie entstehen können.

Und was ist mit anderen, moralisch sicherlich verwerflichen Handlungen, wie a) niederschlagen b) entführen (auch in Kombination mit a)) c) betrügen d) stehlen e) kämpfen, verletzen, töten f) meucheln? Für jeden einzelnen Punkt gibt es gute Gründe, sie nicht darzustellen. Moral kann also keine allgemeine Gültigkeit besitzen, wenn manches erlaubt, manches verboten wird im einen Kontext, im anderen jedoch nicht. Ich empfinde es als eine Form der Scheinheiligkeit, einen Punkt so im speziellen herauszunehmen, ohne zu den anderen Punkten Stellung zu beziehen. Man kann Live-Rollenspiel auch als das Ringen um eine gesellschaftliche Moral an einem beliebigen Zeitpunkt der Entwicklung einer Moral betrachten.

Das Problem sind ja nicht mal diese großen Gruppen an Handlungen: Du hast sexuell anstößige Szenen als besonders verwerflich bezeichnet und möchtest sie verbannt wissen. Was ist denn sexuell anstößig? Manchem ist es schon verdammenswert, wenn Homoerotik dargestellt wird (Papst läßt grüßen). Andere empfinden es als unmoralisch, wenn in der Öffentlichkeit Männlein und Weiblein rumknutschen, da die Umstehenden damit Zeuge einer sexuell motivierten Handlung werden. Besonders schwerwiegend kann ein solcher Fall empfunden werden, wenn die Akteure entweder nur IT oder gar auch OT unverheiratet sind. Lange Zeit galt es Männern als höchst unschicklich, den Blick auf den entblößten Knöchel einer Frau zu werfen; generell gelten die Reize von Frauen in vielen Kulturen und lange Zeit als etwas, das nicht der Öffentlichkeit präsentiert werden dürfe. Ist die Darstellung solcher Handlungen (im letzteren Falle ist es ja nicht mal mehr Darstellung) dann auch zu verdammen? Ich erinnere mich daran, wie es mal eine zeitlang Mode war, Schotten zu spielen, die dann als Schafficker beleidigt wurden. Ein Schottenspieler hat sich dann OT tatsächlich ein Aufblasschaf (mit Löchern an prägnanten Stellen) besorgt und dieses zur Darstellung dieses Klischees genutzt. Auch verdammenswert? Als OT-Handlung mit einem echten, lebenden Schaf sicherlich, aber als Teil eines IT-Charakterspiels? Ich denke nicht.

Schauspiel und Realität

Ich finde folgende Lösung eigentlich am sinnvollsten, die auch hier schon mehrmals vorgebracht wurde: Es sei erlaubt, die ganze Bandbreite moralischer Verwerflichkeit in Absprache unter den aktiv Beteiligten darzustellen. Die Reaktionen aller Charaktere mögen entsprechend IT erfolgen. Es verlangt ja schließlich niemand, einer Schändung tatenlos zuzusehen; Dein Charakter kann doch eingreifen und sicherlich auf die Unterstützung anderer Charaktere setzen.

Bei Braveheart war es z.B. auch eine Handlung, die von den Betroffenen als unmoralisch und verwerflich gewertet wurde (prima noctis), die die ganze Story erst losgetreten hat.

Daß Du OT von solchen Handlungen betroffen bist, betrachte ich als vollkommen selbstverständlich. Als mir meine damalige beste Freundin mitteilte, daß sie vor wenigen Jahren vergewaltigt worden sei, war ich drauf und dran, den Mistkerl aufzusuchen. Die Sache hat sich dann damit aufgeklärt, daß sie ein Jahr später zugab, nie vergewaltigt worden zu sein. Kontakt zu ihr habe ich keinen mehr. Aber diese erste "Vergewaltigung" war nur der Anfang einer langen Reihe von Vergewaltigungen, die in meinem Freundeskreis stattgefunden haben und von denen ich Kunde erhielt. Jeder einzelner Bericht hat in mir die Verachtung auf Menschen, die zu solchen Handlungen fähig sind, verstärkt. Dennoch gehört die Unterscheidung von Spiel und Wirklichkeit zu den grundlegenden Fähigkeiten, die ein Rollenspieler besitzen muß und so kann ich sehr wohl damit leben, wenn sowas dargestellt wird. Selbst wenn meiner Rolle solche Handlungen diktiert werden, kann ich sie darstellen - das Einverständnis der Beteiligten vorausgesetzt. Aber wie bei allen Handlungen im Spiel empfinde ich keinen Zwang, eine IT-Handlung OT zu verdammen. Schließlich kann ich auch mit der Darstellung von Amoralität in Film, Buch und Gesang leben, da sie der Keim von so mancher Handlung sein können (ich sehe gerade den Film "Strange Days", einen sehr guten SF-Film - hier spielt eine Vergewaltigung eine wichtige Rolle). Als Improvisationstheater-Schauspieler agieren wir entsprechend unserer Rahmenbedingungen, die uns aus Setting und Charakter gegeben sind. Einen Schauspieler verdammt man auch nicht dafür, daß er vor der Kamera eine solche Szene darstellt, die in der vorgesehenen Story eine wichtige Rolle einnimmt. (Wichtig wird sie dadurch, daß man die Perspektive drauflegt)

Wir sind keine Realitätsflüchtlinge

Eine Vergewaltigung ist nicht ursprünglich eine Erfindung des Rollenspiels, sondern Teil unserer leider sehr häufig sehr bitteren Realität. Aber das Live-Rollenspiel soll uns eben nicht vor den Unbillen unserer Realität bewahren, sondern uns die Möglichkeit bieten, andere Aspekte unserer Existenz spielerisch zu erkunden. Bei Angelegenheiten, die an den Grenzen des gesellschaftlich Akzeptierten oder gar jenseits von ihnen liegen, bedarf es dabei aber immer der Zustimmung der Beteiligten.

Ich habe bestimmt viele Dinge vergessen oder im unklaren gelassen, aber ich habe jetzt keine Lust mehr.

Eine letzte Sache noch: Ich hatte vor zehn Jahren oder so mal einen Alptraum, in dem ich derartig blankes Entsetzen empfand, wie ich es nie im Wachzustand tat. Ohne ins Detail gehen zu wollen, ging es eigentlich darum, daß eine größere Macht in einem unvorstellbaren Maßstab Hilflosigkeit unter seinen "Opfern" verbreitete - und einem selber ein ähnliches Schicksal drohte, ohne die Möglichkeit, sich dagegen wehren zu können. Der Holocaust vor 60 Jahren nimmt sich dagegen wie ein Kindergartengeplänkel aus. Die Empfindung, obwohl nur geträumt, war dennoch erschreckend real. Das Gefühl des Ausgeliefertseins ist vielfältig und sicher nicht eine Domäne von Vergewaltigungsopfern. Die Ängste der Menschen sind so zahlreich, daß es wohl kein Rollenspiel geben kann, wenn jede Eventualität Berücksichtigung finden müßte. Es liegt an jedem einzelnen, einen angemessenen Umgang mit seinen Emotionen zu finden, aber die Veranwortung dafür kann man auf niemanden abwälzen. Ich jedenfalls beschränke mich darauf, Rücksicht nur auf die Gefühle derer zu nehmen, die mir wichtig sind, und auf alle anderen nur, wenn gesellschaftliche Konventionen dies nahelegen oder die Umstände dies ohne großen Aufwand ermöglichen - oder ich darum gebeten werde. Auch Rücksicht ohne Einverständnis ist in der Lage, Schaden zu verursachen.

Beste Grüße Masin

PS: In allen Betroffenheitsmeldungen vermißte ich bislang eine Begründung, weshalb durch die SL die Darstellung einer Vergewaltigung zu unterbinden so selbstverständlich sein soll, daß man über die Nicht-Unterbindung so erschreckt sein kann. Gibt es mittlerweile eine 2-Klassen-Grausamkeit? Grausamkeit, die durch eine SL zu unterbinden ist, und Grausamkeit, die nicht unterbunden werden muß?

-- MasinAlDujaili


Kommentare zur KontroverseVergewaltigungSpielen - sie befanden sich erst direkt dort. Ich wurde allerdings ermahnt, dort nicht zu kommentieren:

Ich möchte an dieser Stelle die Frage aufwerfen, welche Form von Gewalt denn überhaupt legitimer Spielinhalt sein kann? Mit welchem Recht wird Menschen abgesprochen, Leid über Erlebtes zu empfinden? Mit welchem Recht wird ein Leid als größer als ein anderes Leid dargestellt - wo wir doch wissen sollten, daß Leid immer subjektiv ist und allein der Deutungshoheit des Leidenden unterliegt? Nur dies kann unsere Ausgangsbasis sein, alles andere erscheint mir als naiv. MasinAlDujaili, 6.9.2005

Das bezog sich explizit auf den Teaser der Seite KontroverseVergewaltigungSpielen, wo nach legitimen Spielinhalt gefragt wird. Ich bin mir nicht sicher, wie sich das anders formulieren läßt, aber zu fragen, ob oder welche Gewalt als legitimer Spielinhalt akzeptabel ist und welche nicht, scheint mir an der Sache vorbeizugehen. Die Frage versetzt eine spezielle Form der Gewalt in eine Sonderposition, die mir nicht gerechtfertigt scheint. Die Sonderposition erhält diese Gewalt erst durch das Empfinden der Opfer - und das kann man weder von außen noch von innen unterscheiden. 2005-09-06 MasinAlDujaili


Siehe auch ../Contra

Stellungsnahme der Siebenhafen-Orga zur Darstellung sexueller Gewalt

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