Larp-Konstruktivismus und Larp-Idealismus schließen einander nicht aus
DanielJ stellt dem LarpKonstruktivismus seinen LarpIdealismus entgegen und fordert, man solle seine subjektive Spielwelt nicht verabsolutieren, sondern sich dem Ideal der von der Spielleitung erzälten Geschichte unterwerfen. Insoweit er seinen guten und richtigen Text als Gegenentwurf zum LarpKonstruktivismus formuliert, zielt Daniel aber an der Kernthese desselben vorbei. Insbesondere scheint sich ein Teil seiner Ausführungen eher gegen den radikalen Konstruktivismus der "realen" Philosophie zu wenden, als gegen meinen Text.
Bereits Schweers wies darauf hin, daß der radikale Konstruktivismus zum Solipsismus führen kann, wenn er zum Äußersten durchgedacht wird. Nun bin ich der Erste, der zugeben wird, sich mit der Verwendung philosophischer Konzepte auf das dünne Eis gefährlicher Halbbildung begeben zu haben, denn das Studium der Philosophen gehörte sicherlich nicht zu den Kernpunkten meiner Ausbildung. Ich wage dennoch die Vermutung, daß der reale Kostruktivismus keinen Idealzustand beschreibt, den es anzustreben gilt, sondern vielmehr als Modell für die Unvollkommenheit der menschlichen Erkenntnis dient, die nach Kräften durch "Dekonstruktion" überwunden werden will, um zu intersubjektiven Wahrheiten (oder wenigstens zum Konsens darüber, was man dafür hält) zu gelangen. In gleicher Weise ist der LarpKonstruktivismus nicht als oberstes und einziges Ideal einer Spielphilosophie gedacht. Mein Text fordert keineswegs dazu auf, die eigene Rolle soweit auf sich selbst zurück zu ziehen, daß keine Interaktion mehr möglich ist.
Von entscheidender Bedeutung ist hier eine Betrachtung der Situation aus der heraus der LarpKonstruktivismus formuliert wurde. Die Mehrheit der LARP-Veranstaltungen dürften zu jener Zeit Daniels Entwurf entsprochen haben und der Spielleitung das Monopol über die Ausgestaltung der Spielrealtität zugestanden haben. Es darf jedoch geargwöhnt werden, daß dies nicht aus einer bewußt idealistischen Willensentscheidung heraus passierte, sondern eher aus unreflektiertem Festhalten am Dunklen Erbe der Spielleiterrolle in den meisten PnP-Rollenspielen. Und wie nach Paracelsus die Dosis das Gift ausmacht, glaube ich, daß die Rolle der Spielleitung oft überhöht wurde und man sich zuweilen im Übermaß auf die SL gestützt hat. Das Problem lag beim Selbstverständnis der Spieler. Die Allgegenwärtigkeit des Rufs "ich brauche hier mal eine SL!". Die Selbstentmündigung vor der Institution "Worldserver". Spieler, die keinen Schritt machen, ohne eine SL zu fragen, "was sehe ich?", "was passiert hier?" oder ob das jetzt "richtig" war. Schlimmstenfalls wird gefragt, wie viele Magiepunkte man braucht, bevor das Ritual überhaupt versucht wird. Insofern ist der LarpKonstruktivismus als Regulativ in einer Situation zu verstehen, die auch unter Daniels Prämisse als exzessiv zu betrachten ist. Mein Text fordert, man solle sich zuweilen etwas mehr auf konstruktivistische Prinzipien einlassen, er fordert nicht, alle anderen Spielprinzipien aufzugeben. Aus der Perspektive, aus der heraus der LarpKonstruktivismus formuliert wurde, wäre es bereits als Fortschritt zu sehen, wenn mehr Leute den konstruktivistischen Ansatz zur Kenntnis nähmen, selbst dann, wenn sie ihn zugunsten eines bewußten Idealismus verwerfen würden..
Ein weiterer Punkt, in dem die beiden Ansätze sich nicht grundsätzlich widersprechen, ist die Charakterebene. Auch dann, wenn man das Monopol der Spielleitung auf die Herstellung der objektiv gültigen Spielrealität - auch im idealistischen Sinne - annimmt, ist die Charaktersicht auf diese objektive Realität dennoch immer durch die Wahrnehmung des Charakters gefiltert. Daniel selbst schreibt, daß der Charakter die Spielrealität nicht zur Gänze kennen muß. Das heißt aber nichts Anderes, als daß die Charaktersicht konstruktivistisch betrachtet werden müßte. Hier bemängelt mein Text eben, daß Spieler dem häufig nicht Rechnung tragen, sondern OT den Abgleich ihrer Wahrnehmung mit der Spielleitung einfordern, bevor sie den Charakter handeln lassen. Und ich unterstelle hier in vielen Fällen, daß das nicht aus idealistischen Motiven gescheht, also um den Charakter nicht Dinge tun zu lassen, die der intendierten Geschichte zuwider laufen, sondern aus egoistischen Motiven, also um nicht persönlich an der Plotlösung zu scheitern oder etwa um keine Magiepunkte in ein Ritual zu investieren, das keinen Erfolg verspricht. Meine Forderung, der Spieler möge sich gelegentlich trauen, das Spiel auf der subjektiven Wahrnehmung seines Charakters aufzubauen, stellt nicht zwangsläufig in Frage, daß es eine "kanonische" Version der Spielrealität gibt, die die Spielleitung kennt, nicht aber der Charakter.
Und zu guter Letzt spricht, wie ich ebenfalls bereits in meinem Text andeute, nichts prinzipiell dagegen, die Weltsicht des Charakters nach idealistischen Gesichtspunkten zu konstruieren. Statt sich die Welt wie Pippi Langstrumpf so zu machen, wiedewiedewie sie mir gefällt, kann ich sie mir auch so machen, wie es dem Ideal, dem größeren Ganzen, der gemeinsam erlebten Geschichte, dienlich ist. Das stellt den Spieler natürlich vor das Problem, den Plan der Spielleitung antizipieren zu müssen. Im Mindesten erfordert dies deutlich mehr Einfühlungsvermögen und weniger Egoismus, als man heute oft an Liverollenspielern beobachten kann. In letzter Konsequenz mag das völlig neue Plotkonzepte erfordern, wie unter dem erwähnten Dogma99, aber es ist sicher nicht undenkbar.
Insofern denke ich, daß der LarpKonstruktivismus und der LarpIdealismus sich keinesfalls einander ausschließen. Das Spiel sei so idealistisch, wie nötig und so konstruktivistisch wie möglich (oder umgekehrt).
--RalfHüls, 2007-02-11
Zurück zu LarpKonstruktivismus oder LarpIdealismus