Charaktertod und Lockerheit
In einer der zahlreichen Diskussionen über Charaktertode, entgegnete mir mal jemand, die Opferregel sei Bekämpfung der Symptome, aber nicht der Ursache. Die Ursache sei die mangelnde "Lockerheit" der Spieler im Umgang mit dem Charaktertod. Durch die Endlosdiskussion um das "Töten" anderer Chars und auch durch die Opferregel hätten die Spieler den Umgang mit dem Charaktertod verlernt. Wenn die Akzeptanz da wäre, wenn also die Meinung herrschen würde, dass ein Charaktertod auf einem LARP durchaus passieren könnte, seien Spieler eben lockerer, würden ihren Chartod besser verkraften und kämen besser mit z.B. Todesstößen zurecht.
Diese Haltung verwechselt meiner Meinung nach Ursache und Wirkung. Die Leute haben nicht verlernt, mit dem Charaktertod umzugehen, weil es die Opferregel gibt, sondern die Opferregel ist entstanden, weil Leute nicht mit dem Charaktertod umgehen können (nota bene: damit sei allerdings gerade nicht gemeint, daß die Opferregelbefürworter selbst nicht sterben wollen; Sie wollen nur keine Diskussionen mehr mit Leuten erleben müssen, die nicht sterben wollen). Die Opferregel verhindert die Lockerheit nicht, sie bewirkt sie. Die Erfahrung zeigt, daß verkrampfter Streit über Charaktertötungen fast ausschließlich gerade dort stattfinden, wo sie eigentlich präzise geregelt sein sollten. Meine Hypothese ist und bleibt, daß viel lockerer gestorben wird, wenn der Spieler das Gefühl hat, die Entscheidung darüber selbst in der Hand zu haben und nicht von einer Regel dazu genötigt worden zu sein (und diese Hypothese wird vielfach durch Beobachtung bestätigt).
Die Hypothese, alles wäre toll, wenn nur alle locker wären, ist einfach nur weltfremd und verharrt im Konjunktiv. Es ist gut und schön, zu konstatieren, daß eine bestimmte Lösung nur "Symptome" bekämpft. Als einzige Maßnahme gegen die "Ursache" dann aber festzustellen, daß es schön wäre, wenn die Ursache nicht existierte, ist wenig zielführend. Oder wie sieht der konkrete Vorschlag aus, wie man die im LARP gar nicht so selten auftretenden Sozialversager, deren Charaktergeschichte (für sie selbst) spannender ist, als ihre OT-Biografie, dazu bringt, nicht mehr am Charakter zu kleben?
Angesichts der Erkenntnis, daß viele Leute nicht mit dem Status Quo zurecht kommen, gar nichts zu tun, sondern auf dem Status Quo zu beharren, bekämpft weder die Ursache, noch die Symptome.
Ich folge übrigens der Einstufung von "Problem" und "Symptom" nur "for the sake of an argument". Da mir sehr egal ist, ob irgendwelche LARP-Charaktere sterben oder nicht, ist das nicht-umfallen vereinzelter Charaktere für mich eben kein "Problem". Problematisch ist es nur, wenn sie ihrem Umfeld mit Geheule und Debatten auf den Nerv gehen. Insofern löst die Opferregel für mich sehr wohl das Problem. (Edit: übrigens bin ich der Überzeugung, daß es aus einem ganz ähnlichen Grund heraus auf dem DF einen Limbus gibt)
Den Todesstoß als Regelformalismus gegen ein i.W. anarchisches Prinzip mit dem Hinweis auf "Lockerheit" verteidigen zu wollen, erscheint mir im Übrigen reichlich paradox. Eine Regel, die auf dem Prinzip basiert, daß ein Spieler einem anderen etwas aufzwingen kann, egal wie dieser dazu steht, wird im Namen der "Lockerheit" gegen eine Regel verteidigt, die auf dem Prinzip basiert, daß es einem Spieler egal ist, was ein anderer aus seinem Spielangebot macht. Der Opferregel-Spieler attackert sein Opfer und dann ist ihm wurscht, was mit diesem passiert. Wieviel lockerer kann man sein? Der Todesstoß-Spieler hingegen verlangt ein verbrieftes Recht darauf, daß gefälligst der andere locker zu sein hat. Wenn man genau hinsieht, ist da nicht sichergestellt, daß überhaupt jemand locker ist.
-- RalfHüls 2011-08-03 14:19:46
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