Untergebener und Herr - Das vernachlässigte Spielkonzept?
Das Spiel zwischen Charakteren unterschiedlicher Hierarchiestufen kommt mir im Larp meistens sehr stereotyp vor.
Oftmals kommandiert der Übergeordnete im Stile eines Unternehmerbarons des 19. Jh. seine / ihre Diener und Knechte durch die Gegend, schickt diese weg, wenn Gäste kommen und behandelt diese, wenn Außenstehende dabei sind, oft eben nur als Dekoration. Die Schwemme an "Häuptlingen" im Vergleich zu "Indianern" erklärt sich für mich hierdurch.
Das andere Gegenbeispiel ist oftmals die absolute Verbrüderung zwischen den Charakteren, was meiner Erfahrung nach in Gruppen mit einem demokratisch-anarchischen Hintergrund vorkommt. Diese will ich in meiner Betrachtung nicht näher beleuchten, da diese in meinem Spielumfeld quasi nicht vorkommen.
Ich denke das Spiel zwischen Herr und Untergebenem bietet mehr als Rumkommandieren und Nutzung als Dekoration.
Hierbei kommt für mich die mittelalterliche Komponente des Lehnswesens als Inspiration zum Zug.
Für Spieler, die kein feudal strukturiertes Land bespielen, ist das folgende nicht unbedingt passend.
In einer feudalen Gesellschaft ist jedes Band zwischen Herrn und Untergebenem ein Vasallitätsverhältnis. Nicht nur zwischen Lehnsherren und Lehnsnehmern, sondern auch zwischen Gutsherrn und Landpächter, Bauer und Knecht auch zwischen Handwerkermeister und Geselle.
Lehensverhältnis bedeutet zu allererst, dass zwei Personen sich gegenseitig zu etwas verpflichten.
Diese Personen verpflichten sich, als wichtigster Punkt, zu gegenseitiger Treue.
Außerdem kommt in jedem Lehnsverhältnis ein extrem wichtiger Punkt zu tragen: Auxilium et consilium.
Auxilium, die Hilfe und Consilium, der Rat, sind immer die wichtigsten Verpflichtungen im Lehnsverhältnis. Anders als der o.g. industriebaronesque Umgang mit seinen Knechten, für den diese eben ersetzbare Diener sind, bedeutet ein Lehnsverhältnis die persönliche Bindung bis zum Ende des Vertrages oder gar bis zum Tod, oder darüber hinaus.
Herr und Knecht sind aufeinander angewiesen. Der Knecht kann ohne Hilfe und Rat des Herrn nicht existieren, da der Herr ihm Schutz gibt.
Der Herr kann aber auch nicht ohne seinen Knecht existieren, da dieser ihm mit Rat und Hilfe zur Seite steht.
Wieso beruhen diese Verhältnisse auf Gegenseitigkeit? Wir sind durch die moderne Welt ein großes Maß an Anonymität gewohnt. Untergebene sind ersetzbar und dem Chef im zweifelsfall egal.
Frühere Lebensverhältnisse sind jedoch im Vergleich weitaus enger. Bedrohungen von Natur und Fremden sind greifbar und ggf. sogar alltäglich. Eine feste Gemeinschaft bietet Schutz vor Gefahren.
Auf einer etwas weiter höheren Ebene, also zwischen Lehnsherrn und Vasall sind die Gefahren zwar anderer Natur, aber trotzdem akut: Es gibt keine öffentliche Gewalt, geschweige denn eine Art Polizei.
Wenn ein Feind kommt und selbstherrlich beispielsweise einen Bauernhof annektiert und den Zehnt nun dort für sich eintreibt, kann man nicht einfach zur Polizei gehen. Selbst einen Gang zum königlichen oder landesherrlichen Landgericht zieht nicht unbedingt eine Vollstreckung nach sich, da es keine Gerichtsdiener gibt, die das Urteil vollstrecken könnten.
Also ist man ohne Selbsthilfe schutzlos Angriffen von außen ausgesetzt. Ganz alleine kann man aber niemandem entgegentreten, also braucht man treue Untergebe, die nicht beim ersten Anzeichen von Gefahr weglaufen.
Umgekehrt brauchen Untergebene einen treuen Herrn, der bei Angriffen zur Seite steht und eben Schutz gibt.
Durch das enge Lehensverhältnis haben beide Parteien etwas von ihrer Verpflichtung.
Diese Komponente ist im Larp selten zu spüren, was ich sehr schade finde.
Wie kann man das ganze oben genannte nun als Herr praktisch in sein Spiel integrieren?
Indem man im Spiel Außenstehende spüren lässt: Meine Untergebenen stehen unter meinem Schutz und sind meine Unterstützung.
Z.B. sitzen mein Knappe und meine Knechte, wenn ich als Ritter unterwegs bin, mit am Tisch, wenn Gäste kommen und geben auch selbstverständlich Kommentare zu den Gesprächen und werden durchaus auch nach Rat gefragt.
In höheren Adelskreisen übertrage man das Ganze auf den Lehnsherrn und seine Ritter und Knappen. Gerade dieses um Rat fragen ist oft auch ein Motiv der mittelalterlich- höfischen Literatur. Dort fragt bei einer sich anbahnenden Queste König Artus, der regelmäßige Protagonist dieser Werke, immer einen oder mehrere seiner Ritter um Rat.
Wenn einer der Untergebenen von Außenstehenden angegangen wird dieser zu allererst aus der Gewalt der Anderen befreien, selbst wenn dieser offenbar von Bütteln für ein Verbrechen festgehalten wird.
Als Untergebener auf sein Recht pochen, nur von seinem Herrn gerichtet zu werden.
Gerade dieser letzte Punkt waren in Mittelalter und Anfang der frühen Neuzeit große Konfliktherde; indem darum gestritten wurde, von wem (vermeintliche) Straftäter gerichtet werden durften. Regelmäßig verliefen solche Streitereien zwischen Städten und Adligen; durch das Richten lassen des eigenen Anhangs durch fremde Richter sahen alle Parteien ihre Macht geschmälert, was niemand zulassen konnte.
Dieser Punkt passt jedoch eher nur zu Verhältnissen Lehnsherr - Vasall und Ritter - Knecht, nicht zu Bauer - Knecht oder Meister - Geselle. Bei letzteren Beiden war der Herr nicht gleichzeitig Richter, bei ersteren beiden schon.
Ich kenne noch ein schönes Beispiel von DanielJ : Er spielte auf einem Con einen Meier, der seinen Hof aufgrund von Kriegseinflüssen nicht halten konnte. Um nicht zu verhungern, bat er seinen Gutsherrn eben um Hilfe und Schutz, wie das Lehnsverhältnis dies vor sieht. Seitdem dient sein Charakter direkt im Haushalt des Gutsherrn und begleitet ihn auch als Diener. Da er ihm gut dient, hält der Herr ihm immer wieder etwas bereit, was ihm nach altem Recht zusteht und wenn es nur die Hälfte eines guten Bechers Wein, den er von einem Gast bekommen hat, ist.
Im Allgemeinen sollte also nach außen gekehrt werden, dass der Untergebene selbstverständlich mit Respekt behandelt wird. Der Untergebene hat zwar zweifellos einen niederen Rang, aber in der feudalen Gesellschaft ist jeder Rang gottgegewollt und hat seine eigenen, von jedem anerkannten uralten und gottgegebenen Rechte.
Und das wichtigste hierbei: Die Existenz eines jeden Standes ist existentiell wichtig, damit alle anderen Stände überhaupt existieren können.
(Dieses Verhältnis lößt sich auch erst am Ende des Spätmittelalters mit der zunehmenden Zentralisierung der Landesherrschaften auf. Darum entladen sich auch die Bauernkriege: hier verlangen die Bauern die restitution des "Alten Rechts", nicht etwa, wie landläufig geglaubt, irgendeine Revolution! Man verlangt nach dem gottgegebenen Platz in der Welt, der mit festen Rechten versehen war und im Zuge eben dieser Zentralisierung bedroht war.)
Ganz anders als also das anfängliche Beispiel des Industriebarons: Hier ist der Diener rechtlos, weil ersetzbar.
Natürlich kann man beides spielen; ich würde mir jedoch wünschen, dass ein Vasallenverhältnis öfter im Larp anzutreffen wäre.
GregorH 7.4.10