Konsequenz als Deckmantel
Einer meiner persönlichen Dollpunkte ist "Konsequenz" im Rollenspiel auf Kosten anderer.
Konsequenz im LARP ist immer dann gut, wenn man die Konsequenzen seines eigenen Handelns trägt. Sie ist oft schlecht, wenn man von anderen erwartet, daß sie die Konsequenzen des eigenen Verhaltens mitspielen.
Manch einer wird es als "konsequentes" Rollenspiel loben, andere Charaktere oder Plots dem eigenen Charakterkonzept zu opfern, aber ich finde, ein Charakterkonzept (oder sogar ein Konzept für mehrere Charaktere, wie eine Religion), das den Spieler dermaßen in die Ecke treibt, führt in den seltensten Fällen zu gutem Rollenspiel. Ich meine auch festzustellen, daß viele wesentlich bereitwilliger andere für die Konsequenz ihres eigenen Charakters opfern, als den Charakter selbst.
Ich persönlich halte (sicherlich im Gegensatz zu manchen Anderen) die vermeintliche InTimeLogik nicht für das höchste Spiel-Ideal, dem alle anderen Aspekte des Spiels unterzuordnen sind. Schon alleine aufgrund der Tatsache, daß die Vorstellung der Spielwelt sehr subjektiv ist, ist dieses Ideal fragwürdig. Unterschiedliche historische Vorbildung, unterschiedliche Fantasy-Vorbilder und unterschiedliche OT-Überzeugungen lassen zwei Spieler im Zweifel völlig unterschiedliche Auffassungen davon haben, was IT gerade "logisch" sei.
Desweiteren gibt es bereits so viele Logik-Brüche, die auf OT-Faktoren beruhen (Herbergsessen um 7; Spielgelände endet hinter der Burgmauer; zuwenig NSC für Bütteltruppe), daß der Versuch, sein Handeln brachialkonsequent nach IT-Logik zu richten etwas...angestrengt erscheint.
Charakterliche Konsequenz ist im wirklichen Leben äußerst selten. Menschen verhalten sich ihren erklärten Überzeugungen entgegen, sei es, weil diese ohnehin nur geheuchelt waren oder weil ihnen der Mut oder die Mittel fehlen, konsequent für ihre Überzeugungen einzustehen. Warum sollte also Konsequenz, wie so oft gefordert wird, das höchste Ideal im Rollenspiel sein? Sicher, zum Teil wird versucht, im Rollenspiel Helden darzustellen, die Klischees bedienen. Der Realismus eines wankelmutigen oder widersprüchlichen Charakters ist manchmal nicht gefragt. Andererseits können gerade diese Aspekte einem Charakter auch Farbe geben, die dem reinen Bilderbuchklischee fehlt.
Besonders oft fällt das Argument des konsequenten Charakterspiels als Rechtfertigung für Spieler-gegen-Spieler-Aktionen. Der Angreifer rechtfertigt seine Aktion damit, daß der Charakter eben durch seinen Hintergrund genötigt sei, den anderen anzugreifen. Und Hurra-Gemetzel-Aktionen werden eben oft als ach so gutes, weil konsequentes, Rollenspiel hingestellt.
Charakterkonzepte fallen aber nicht vom Himmel. Ein Konzept, das einen Spieler zwingt, Den Charakter Dinge tun zu lassen, die OT scheiße sind, laste ich dem Spieler an. Über Papier-Rollenspiel pflege ich zu sagen, daß ein Spieler, der einen Charakter so anlegt, daß er die Gruppe sprengen muß um konsequent zu spielen, den Fehler eben nicht beim Spiel, sondern beim Charakterentwurf gemacht hat. Im LARP ist das mit der Gruppenharmonie nicht ganz so wichtig, wie bei einer Gruppe-gegen-DM-Runde im P&P (davon abgesehen, daß es Runden gibt, in denen Dissens Konsens ist ;-), aber ich finde auch hier ist das Angreifen anderer SC mit Vorsicht zu genießen.
Religion, Rassismus, Rache. Im Prinzip können alle Formen extremer Überzeugungen, die beim Charakter bestimmte Handlungsweisen zwingend vorschreiben, geeignet sein, den Spieler in eine Sackgasse zu drängen, in der er vermeintlich keine andere Wahl hat, als den Charakter auf eine bestimmte Art und Weise handeln zu lassen. Wenn dabei andere Spieler ihre Charaktere verlieren oder ganze Plots umgeworfen werden, sollte man sich überlegen ob das wirklich eine gute Sache ist.
Das Dogma mag es ja gerne erlauben, die Ketzer mit Feuer und Schwert zu jagen. Der Charakter mag ja nach einer Beleidigung blutige Rache schwören. Wie das letztlich im Spiel umgesetzt wird, ist doch eine ganz andere Frage. Ich bin gegen Konzepte, die irgendeine Entscheidung des Spielers, wie der Charakter zu handeln habe, vorwegnehmen. Das Dogma sollte die Gläubigen nicht zwingen, ohne Rückfrage zu töten. "Mein Charakter konnte gar nicht anders handeln" halte ich für einen Hinweis auf ein mangelhaftes Charakterkonzept.
Weniger Problematisch sind solche Konzepte, wenn die "Opferregel" gilt, nach der der Spieler eines Charakters selber entscheidet, wann der Charakter stirbt. Das mag man als inkonsequent empfinden, aber es bietet einen Kompromiß in der Spieler-gegen-Spieler-Frage. Der Angreifer zeigt durch seinen Angriff, daß er den Charaktertod plausibel findet. Das Opfer hat die Wahl, den Tod auszuspielen, wenn es ihn ebenfalls plausibel findet oder eine Rettung in letzte Sekunde oder eine sonstige Ausweichhandlung zu inszenieren. Damit hat der Angreifer seinem Konzept entsprochen, den fremden Charakter aber nicht dafür geopfert.
Ich lehne diese Konzepte nur insofern ab, wie sie den Spieler in irgendwelche Sackgassen treiben. "Ich mußte so handeln, der Charakter ist halt so" habe ich einfach schon zu oft als Pappnasen-Rechtfertigung gehört. Der Spieler steuert den Charakter, nicht umgekehrt. Deshalb sollte jedes Charakterkonzept eine Hintertür haben.
Im "inkonsequenten" Spiel schadet ein "destruktives" Konzept nicht, weil man durch die "Inkonsequenz" aus der Sackgasse heraus kommen kann, und mit einem nicht-"destruktiven" Konzept kommt man auch im "konsequenten" Spiel gar nicht erst in die Sackgasse hinein.
Warum aber sollte man überhaupt Rücksicht nehmen? Reicht es nicht aus, wenn ich meine Rolle konsequent spiele? Eine oft gehörte Meinung ist, daß jemand, der ordentlich IT und OT trennt, sich doch dadurch nicht gestört fühlen kann. Es eine naive Wunschvorstellung, daß nichts, was IT geschieht, OT-Konsequenzen habe. Jeder weiß, daß die Spieler die Charaktere steuern und OT damit zufrieden zu sein, wenn IT etwas scheiße läuft, klappt nur solange, wie beide Seiten sagen können "ja, das war konsequent gespielt". Das geht aber nur solange, wie beide die gleiche Vorstellung von IT-Logik haben. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, ist es nicht einmal "schlechtes Rollenspiel", wenn einer OT mit der IT-Situation unzufrieden ist, denn er unterstellt ja dem anderen, gegen die IT-Logik verstoßen zu haben.
Mit anderen Worten, ich kann mich nicht darauf zurückziehen, daß meine Aktion der (meiner!) InTimeLogik zufolge OK ist, sondern ich muß mir Gedanken machen, ob ich damit den Mitspielern nicht doch OT auf die Füße trete. Wer sich völlig auf's IT und "konsequentes" Rollenspiel zurückzieht und dabei die OT-Beziehungen zwischen den Spielern ignoriert, macht m.M.n. was falsch. Vor allem über eine Feindschaft auf Leben und Tod sollte man sich OOC sehr einig sein.
Meiner Erfahrung nach kommt von einer rigorosen Auffassung von Konsequenz im Rollenspiel mehr Übel als Gutes. Konsequentes Charakterspiel ist "nice work, if you can get it", aber es ist IMHO nicht das höchste Ideal im Spiel. Insbesondere dürfen ihm weder der eigene noch der fremde Spielspaß geopfert werden.
Eine alte Regel der Netiquette ist hier einschlägig: "Be conservative in what you send and liberal in what you receive."
Versuche den Spielspaß der Anderen so wenig wie möglich zu beeinträchtigen und versuche Dich auf soviel wie möglich von dem, was die anderen bringen, einzulassen. Wenn sich jeder dran hält, wird alles gut
RalfHüls (Ursprünglich von 2002)