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Meinung/Moral/Dramaturgisch

Larpmeinung: Moral im Larp - dramaturgisch oder realistisch?

Niemand fragt [im Märchen] danach, warum Drachen so entsetzlich blutrünstig sind, warum Hexen in ihnen lieber Kinder als Hühnchen verzehren. Das sind einfach Axiome des Märchens, dessen Welt grundsätzlich parteiisch ist: Das Böse tritt in ihm auf, damit es dem Guten unterliegen kann. [...] Die Welt der Science Fiction muss eine ganz einfach reale Welt sein, die niemanden von vornherein privilegiert, in der kein Schicksal, sei es im guten, sei es im bösen Sinne prädeterminiert ist.[...]Da nun der Mensch, obwohl er Fliegen erschlägt, nicht gerade zu diesem Zweck ans andere Ende der Welt vordringt, haben dann auch die "Anderen", selbst wenn sie uns als Fliegen betrachten sollten, auf der Erde nicht allzuviel zu suchen.

  • Stanislaw Lem - Kommentar zu "Picknick am Wegesrand"

Das ganze lässt sich aufs Larp übertragen. Viele der Konzepte von Gut und Böse in der Fantasyliteratur sind doch sehr märchenhaft, während auf einem Liferollenspiel, wo jeder Charakter als eigenständige Person agiert und Rückschlüsse über andere zieht, die logische Herangehensweise, die Lem für die Science Fiction fordert, genauso eine sinnvolle Basis für Larpcharaktere und -Plots sein sollte.

Es zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze, Moral oder Gesinnung zu interpretieren.

Der dramaturgische Ansatz

Der erste ist der der "Heroic Fantasy", wie er in Märchen, Comics und vielen Fantayromanen und -Filmen wie dem "Herrn der Ringe", "Xena" und auch dem "Krieg der Sterne" vertreten wird. Hier existieren das "Böse" und das "Gute" als absolut definierte Fronten, welche unmöglich friedlich koexistieren können. Natürlich gibt es auch da feinere Abstufungen, aber im Idealfall sieht das so aus: Beide Seiten sind homogen aufgebaut, und die moralischen Werte werden nie kompromittiert. Die Bösen sind böse, weil sie halt böse sind, sie zwirbeln ihre Schnurrbärte, haben immer einen vergifteten Dolch im Ärmel und es käme ihnen nie in den Sinn, dass Erbauen genausoviel Spaß wie Brandschatzen machen kann und dass Hühner eigentlich viel besser schmecken als kleine Kinder.
Ebenso sind die Guten gut, ohne dass ihnen etwas anderes in den Sinn käme, die Könige sind weise und gerecht, die Mägdelein hold, die Ritter tapfer und auch die Ärmsten ertragen ihr Leid arbeitsam und ohne Murren.

"Seitenwechsel" kommen als Handlungselement vor, sind aber extrem selten und meist das Werk übernatürlicher Kräfte wie Zaubern, Flüchen und ähnlichem. Wird ein "Guter" zu einer "bösen" Handlung gezwungen, so geschieht das fast immer durch üblen Trug und der Held erkennt seinen Fehler meist schnell und unter schrecklichen Selbstvorwürfen.
Da jedoch der Sieg des Guten über das Böse vorprogrammiert ist, sind gewaltsame Konfliktlösungen unumgänglich: Der Drache muss erschlagen, die Hexe in den Ofen gestoßen, die Orkhorden niedergemacht werden. Diese Konfliktlösungen haben jedoch keinerlei moralische Konsequenzen, denn die Grenze ist ja klar gezogen.

Eine solche Weltordung im Larp ermöglicht auch den Einsatz von gesinnungsbestimmenden Zaubern und Fertigkeiten, seien es Dinge, die nur "jemand mit reinem Herzen" tun kann, bis hin zu dem Orakel, dass plötzlich kundtut, dass "das Böse unter euch weilt" (um dann meist hinterrücks ermordet zu werden, bevor es denjenigen näher bestimmen kann).

Zu diesem Spielstil gehört aber meiner Meinung auch, dass die Spielercharaktere die obengenannten hohen Ansprüche erfüllen: Sie müssen gut sein und moralisch handeln, auch wider die Gebote der Wahrscheinlichkeit. Der Held muss dem besiegten Gegner im Duell aufhelfen und ihm den Rücken zukehren, und der Gegner muss ihm dann rollengemäß feige in den Rücken fallen. Ein Übeltäter muss stets der Justiz zugeführt werden, die ihn dann gerecht und fehlerfrei aburteilt usw.

Ebenso müssen dann die Widersacher gestrickt sein: Sie handeln immer und ohne Ausnahmen böse, widerwärtig und verschlagen, und lassen sich auch von Güte und Großmut nicht zum guten bekehren. Es gibt keine guten Orks, Drachen oder Hexen, und wenn doch, dann ist es bestimmt eine ausgeklügelte List - Auf die die grundguten Helden aber leider gerne hereinfallen. Damit dies nicht ins lächerliche abgleitet, müssen solche Überläufer die absolute Seltenheit sein.

Der realistische Ansatz

Der zweite Ansatz ist realistischer, nennen wir ihn mal "Real Fantasy". Er wird oft in moderneren Büchern und Filmen vertreten, in Western, einigen Animes und in der Science-Fiction. Beispiele sind etwa die Bücher von William Gibson und Iain Banks, das Buch "Elric", das Comic "Watchmen", die Filme "Interview mit einem Vampir" oder der Anime "Jin-Roh".
Hier gibt es keine festen moralischen Fronten, die Weltanschauungen der Akteure sind Produkt ihrer Umgebung, und moralische oder amoralisches Handeln ist eine Sache freier Entscheidung. Oft ergeben sich so Probleme, wenn es zum Beispiel darum geht, ein kleineres Übel zu wählen oder etwas dem "größeren Wohl" zu opfern, und oft zeigt sich am Schluss, dass der vermeintliche Bösewicht genauso einen Grund für sein Tun hat wie alle anderen auch.

Hier kann es auch problemlos zu Vermischungen und wechselnden Bündnissen kommen, schließlich versucht jeder nur, sein eigenes Schäfchen ins trockene zu bringen. Ebenso wie es sein kann, dass ein in Hass und Furcht aufgezogener Charakter seine moralischen Werte entwickelt, kann auch jemand mit hehren Zielen es für notwendig halten, einen "Pakt mit dem Teufel" einzugehen.

Die Charaktererschaffung im Larp nach diesem Spieltyp ist gleichzeitig einfacher und schwieriger als in der "Heroic Fantasy": Durchschnittliche, normale Charaktere sind einfacher, denn man braucht nur so handeln, wie man es als Spieler selbst tun würde, rein auf Basis der wenigen Informationen, die einem im Spiel zur Verfügung stehen. Charaktere mit extremen Weltanschuungen sind jedoch deutlich anspruchsvoller, denn sie brauchen für eine glaubwürdige Darstellung nicht nur eine glaubhafte Lebensgeschichte, die ihre ungewöhnliche Einstellung erklärt, sondern stehen auch vor dem Problem, sich mit den moralischen Konsequenzen ihres Handelns auseinanderzusetzen.

Mangelnde Abgrenzung

Das Problem beim Vermischen dieser beiden Spielauffassungen ist unter anderem auch, dass je nach Spielstil die Spieler zwangsläufig andere Privilegien für sich in Anspruch nehmen, insbesondere in Sachen Charaktertod. Beim "Heroic Fantasy"-Spiel existiert zwangsläufig eine Zweiklassengesellschaft: Die "Guten" dürfen die "Bösen" töten, umgekehrt aber nicht. Außerdem gibt es Haupt- und Nebencharaktere, wobei letztere entbehrlich sind, während erstere immer wieder entkommen und überleben.
Beim "Real Fantasy" läuft das ganze demokratischer: Da jeder Charakter , NSC oder nicht, ein denkendes Wesen ist, sind die Konsequenzen die sich bei Mord un Totschlag ergeben für alle gleich oder zumindest ähnlich. So haben zwar auch die "Monster" eine höhere Chance auf gerechte Behandlung, auf der anderen Seite aber auch die Spielercharaktere eine höhere Chance, genauso wie ein hundsgemeiner NCS ins Gras zu beißen.

Ein schönes Beispiel dafür sind die Oschenheimer: Auch wenn es erstmal für das "klare Fronten"-Modell spricht, wenn die Ceridische Bürgerwehr kurzen Prozess mit Orks und Drow macht, wird es auf den meisten "klare Fronten"-Cons vermutlich nicht gerne gesehen, wenn sie das gleiche mit einem "guten" Magier machen.

ChristianSpalthoff, RalfHüls (ed.), 05.01.2005


Siehe auch GesinnungsProbleme

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