Larpmeinung: Moral im Larp
Dieses kleine Essay entstammt einem Gespräch im Larpinfo-Forum zwischen Section31 und ChristophSchweers. Es behandelt alle LarpGenres.
ChristophSchweers schrieb: "Ich bin nämlich - unter LARP-Gesichtspunkten! - eher ein Fan von etwas "schmutzigeren" SciFi-Universen, wie bspw. Shadowrun [...]"
Okay, reden wir mal über den Unterschied zwischen Cyberpunk und Trek.
- Punkt 1: Moral. Bei Trek hat sie zugenommen, bei diesen "schmutzigeren" Universen hat sie abgenommen.
- Punkt 2: Gesellschaft und Lebensstandard. Trek ist ein Utopia, Cyberpunk das genaue Gegenteil davon (wer würde da schon freiwillig leben wollen?).
- Punkt 3: Politik. Trek ist "innenpolitisch" (bzgl. der Föderation und der anderen Großmächte des Alphaquadranten) Friede-Freude-Eierkuchen, Cyberpunk zeichnet ein Bild von Korruption, Gier nach Geld/Macht und jeder-gegen-jeden.
Punkt 4: Technik. Die Technik bei Trek hat einen extrem hohen Entwicklungsgrad (mehrere Jahrhunderte Entwicklungsvorsprung vor der Jetztzeit) erreicht und wird zum Wohle der Menschheit eingesetzt (Replikatoren lösen das Nahrungsproblem, niemand muss hungern, frieren, ...), im Cyberpunk ist die Technik nicht ganz so weit fortgeschritten (der Entwicklungsvorsprung liegt nur bei schätzungsweise 50-100 Jahren) und wird i.d.R. gegen den Menschen eingesetzt (Waffen, Überwachungstechnologie, etc.).
Ich ziehe aus meinen Beobachtungen der deutschen Larp-Landschaft die verallgemeinernde Schlussfolgerung, dass eine Degeneration der Gesellschaft immer einfacher darzustellen ist als eine Weiterentwicklung (in jederlei Hinsicht, s.o.) zum Besseren. Die Frage, warum die meisten Spieler lieber in einer schlechteren Welt spielen, als wir sie in der Realität haben, bleibt vorerst mal offen. Warum herrscht in so vielen Fantasy-Ländern Krieg? Warum spielen die Leute nicht lieber romantische Märchen nach? Zu langweilig?
Ich stelle die provokante These auf, dass das Leid im LARP nicht ausreichend grauenhaft dargestellt und schon allein dadurch romantisiert wird. Oder wer von den Larpern käme auf die Idee, mal an einem 2.WK-Reenactment in Dünkirchen mitzumachen (ja, das gibt es und das ist dreckig!)? Ich denke, es würde vielen Leuten mal die Augen öffnen. Vielleicht würden sich dann einige mal überlegen, ob sie einen TodesStoß setzen, wenn ihnen dabei das warme Blut ins Gesicht spritzt. Aber nein, bloß kein Kunstblut, weil man sich ja dann die teure Gewandung (OT) dreckig machen könnte. Hierzu fällt mir eine Geschichte ein: Ein alter Mann sah eine Gruppe Kinder auf der Straße spielen. Er ging zu ihnen hin und fragte: "Was spielt ihr da?" Die Kinder antworteten: "Wir spielen Krieg!" Der alte Mann war entsetzt und sagte "Aber Krieg, das ist etwas Grauenvolles. Warum spielt ihr nicht lieber Frieden?" Die Kinder sahen sich ratlos an, dann fragte eines: "Wie spielt man Frieden?" Liegt es an der Einfallslosigkeit der Plotmacher dass sie zu einem großen Konflikt greifen, um die Spieler in irgendeiner Art und Weise zu beschäftigen? Mir ist klar, dass es auch etliche Hofhaltungs- und Ambiente-Cons ohne jeglichen Kampf gibt. Fakt ist jedoch, dass auf dem Großteil der Fantasy-Larps gekämpft wird.
In dieser Hinsicht hat VampireLive dem FantasyLarp IMHO etwas voraus. Hier drehen sich die Plots um die Charaktere und kommen dementsprechend ohne Kampf aus. Dafür ist dieses LarpGenre in anderer Hinsicht noch unmoralischer - es wird intrigiert, gelogen und betrogen bis es nicht mehr geht. Das gesamte Spielkonzept ist von vorn herein destruktiv angelegt, denn hier gilt "Jeder ist sich selbst der Nächste" bzw. "Jeder gegen jeden".
Ich stelle eine weitere provokante These auf, dass einige Leute im Larp gerne mal "die Sau rauslassen" und die Gelegenheit ergreifen, sich auch mal daneben benehmen zu dürfen (z.B. Söldnerschwein). Sicherlich mag das entspannend sein, ich dagegen - "I aspire". Das soll heißen, im StarTrekLarp versuche ich mich so tief in die Rolle reinzuversetzen, dass ich tatsächlich danach strebe, ein besserer Mensch (Vulkanier, ...) zu sein. Ich denke (hoffe), das färbt dann wiederum auf das RealLife ab. Im FantasyLarp entspräche das vielleicht der Einstellung "rechtschaffen blöd" - mit dem Unterschied, dass es bei Trek tatsächlich funktioniert und die Welt (das Universum) zu einem besseren, lebenswerten Ort macht.
--Section31, 30.05.2004
Tatsächlich ist im LARP Moral eine sehr merkwürdige Sache. So sind z.B. Piraten beliebt als nette, spaßige Charaktere. Liest man jedoch Tagebucheinträge von Überlebenden, so muss man erfahren, dass die Piraten nichts weiter waren als ein Haufen Gesetzloser, der meist in wilder Raserei und von Gier getrieben die abscheulichsten Gräueltaten vollbrachte.
Doch im LARP werden die Piraten zu "feinen Leuten" verklärt.
Und im Allgemeinen fehlt dem LARP die Eindringlichkeit und Realitätsnähe zu realer Gewalt. Während z.B. im zweiten Weltkrieg die Soldaten schwere psychische Schäden erlitten, wenn sie sahen, wie Ihre Freunde im Gewehrfeuer fielen, muss einem die Perversion auffallen, wie sie im LARP anzutreffen ist, durch Todesstösse en mass, grausame Folter und das reihenweise Verstümmeln von Feinden.
Jeder Krieg war und ist die Hölle und abscheulich, doch im LARP ist alles nur ein großer Spaß.
Z.B. wird dann direkt nach der Schlacht fröhlich Bier getrunken und gefeiert. Aus mir bekannten, doch sehr an die Nieren gehenden Tagebüchern eines englischen Soldaten des French&Indian-Wars lässt sich herauslesen, dass auch bei siegreichen Schlachten meist ob der gefallenen Kameraden eine sehr beklemmende Stimmung herrschte, die vom Schreien und Klagen der Verwundeten nur noch verstärkt wurde.
Ich würde es begrüßen, ginge das Verständnis der Rollen und des Rollenspiel so tief, das auch die Moral, und auch die Skrupel der Charaktere gespielt würden.
Doch leider verharren viele in den Traditionen der Computerspiele und geben die unnahbaren coolen Typen und Ein-Mann-Armeen.
Überdies sind sich auch fast alle zu schade oder OT zu feige, IT über den gefallenen Kameraden zu weinen ... denn Weinen ist unmännlich ...
(Also waren all die harten Burschen und Kerle, die in all den Jahrhunderten für diverse Sachen tapfer zu Felde gezogen sind und kämpften, die ihre Jugendfreunde unter Tränen tot auf dem Schlachtfeld sterben sehen und zurücklassen mussten, alle Memmen? Ich persönlich denke das nicht.)
Und überdies verärgert mich, dass der Tod zu hygienisch und zu ruhig ist ... in einer LARP-Schlacht liegen die Toten am Boden und schweigen. Doch realistisch gesehen müssten die allermeisten verwundet sein und jämmerlich schreien und wimmern. Tut dies jedoch jemand, dann wird der eben schnell, weil er den anderen Spieler OT nervt, getodesstosst.
--[BritishRegular]
Das mit der Verklärung der Piraterie ist ja auch ein typisches LARP-Phänomen. Ganz anders zum Beispiel die Darstellung in der düsteren Tragödie aus dem Hause Disney, in dem das tragische Schicksal des Sympathieträgers Commander Norrington in schonungslosem Realismus gezeigt wird. Man darf gespannt sein, welche Enthüllungen über die Schrecken des Piratentums die Fortsetzung am kommenden Donnerstag offenbaren wird. --RalfHüls, 23.07.2006
Also ich persönlich würde das Star Trek Universum nicht so in den Himmel heben, was die Moral angeht. Natürlich sind die meisten dort dargestellten Völker zivilisatorisch weiter entwickelt als wir und noch viel weiter als Fantasy Larp Kulturen. Nichts desto trotz gibt es auch bei Star Trek alle menschlichen Abgründe. Verrat, Brutalität, Massenmord etc. nur weil z.B. die Föderation sich große moralische Werte auf die Fahnen geschrieben hat, heißt das ja noch lange nicht, dass das auch der Fall ist. Die Enterprise ist ja schließlich ein KRIEGSschiff und da ballern die "Helden" eben mal ein feindliches Schiff weg mit tausenden von Toten und sind danach ja auch nicht den Tränen nah. Kirk hasst die Klingonen aus persönlichen Gründen und auch die so edlen Vulkanier sind durchaus fähige Kämpfer und wenden dies auch an. natürlich alles nur aus lauteren Motiven etc. Wenn man die Moral im Star Trek Universum mit Fantasy Larp vergleicht, muss man sie mit den dort anzutreffenden moralischen Idealen Vergleichen. Die theoretische Moral eines Ritters, Paladins oder Magiers muss sich doch nicht vor der Moral der Föderation, Vulkanier oder der von Captain Kirk verstecken. Die Realität sieht zwar meistens anders aus, aber das betrifft halt beide Genre.
Zu der tatsächlichen Situation auf Live Rollenspielen im Star Trek Universum kann ich nichts sagen, weil ich auf so was noch nie war. Vielleicht sind da wirklich alle Spieler humanistische Pazifisten und Helden in glänzender Moralrüstung. Wenn das so ist, dann wäre das nichts für mich. MMn hat Larp auch was mit dem oben erwähnten Sau Rauslassen zu tun. Damit mein ich nicht, dass jeder einen wilden Barbaren spielen muss, der sich nicht wäscht und nur am saufen ist. Aber mein Spielverständnis von Larp ist, dass man etwas komplett anderes machen will, als der Alltag dies zulässt. Dazu gehört natürlich auch Action. Kämpfer sind im Larp zwar nur ein Bestandteil von vielen, aber Schlachten und Gewalt generell konzentrieren nun mal Emotionen. Natürlich ist ein toller Tavernenabend auch was schönes, aber Orkangriff nachts im Wald bringt einen Faktor ins Spiel der dem Realen Leben nun gänzlich abgeht. Das ist das Interessante für viele Spieler. Auch mich. Das ist nicht der einzige Grund warum ich zum Larp fahre, aber es ist ein wichtiger Bestandteil. Ist das moralisch verweflich? Dass man als Ottnormalbürger gerne mal nachts im Wald gegen Feinde kämpft oder die untoten Horden zurückschlagen will? Ich persönlich glaube nicht. Auch habe ich in meinem Larpleben nur sehr selten Anstoß daran gefunden, wie Spieler mit Moral und Leid im Larp umgehen. Natürlich ist es selten, dass der große Krieger rumflennt wie ein Kleinkind, aber ist das nötig? Was Gegner angeht, so hat man doch meist ein klares Feindbild, dass meistens sogar noch nicht mal menschlich ist. Warum sollte ein Fantasy Charakter, der ja auch noch als Krieger für so was geboren bzw. ausgebildet wurde Skrupel haben Untote, Dämonen, Echsenwesen oder Orks und Räuber umzubringen. Da fände ich moralische Skrupel zwar ganz unterhaltsam, aber eigentlich unlogisch. Und es gibt ja durchaus immer einige Pazifisten, die gegen fast jede Art von Gewalt was haben und dies auch predigen. Aber die Krieger haben da zu Recht eine andere Einstellung. Was den Verlust von Kameraden angeht, muss man von mehreren Faktoren ausgehen. Es sterben sehr wenige Spieler auf Cons und die allerwenigsten davon in Kämpfen (Jedenfalls da wo ich spiele, also meist Dragonsys). Die meisten Charaktere sind darauf vorbereitet, dass der Tod zum Leben eines Kriegers gehört, bei friedlichen Charakteren ist der Tod erstens noch seltener und wird dann meistens auch deutlicher betrauert. Ein Tod muss nicht mit Tränen und psychischen Zusammenbrüchen gewürdigt werden. In unserer Gruppe gehören die Bestattungen und Trauerfeiern zu den emotionalsten Momenten und sind wirklich sehr bewegend, auch für den Spieler, dessen Charakter gestorben ist, obwohl seine Kameraden nicht in Tränen ausbrechen. Das hängt sicher auch mit dem Charakterhintergrund zusammen, aber eine moralische Verwerflichkeit möchte ich deshalb nicht als angemessen betrachten. Im Umgang mit Tod und Leid im Larp muss man sich immer ein paar Dinge vor Augen führen. 1.) Man muss die moralischen Ansprüche eines demokratisch erzogenen Menschen aus dem 21ten Jahrhundert ablegen oder zumindest zurückfahren. 2.) endgültiger Tod oder unabänderliches Leid für die Charaktere ist äußerst selten. 3.) Viele Charaktere sind mit Tod und Schmerzen vertraut, haben also da andere Reizschwellen.
Hermann
Da kommt auch noch ein anderer Aspekt ins Spiel, der nichts mit "romantisieren" zu tun hat, sondern im Gegenteil: Im LARP kann man "extreme" Situationen, die man sich in Realitas nie wünschen würde, gewissermaßen "gefahrlos" erleben. Wenn man genügend reflektiert, um sich darüber klar zu sein, daß es halt nur ein Spiel ist, und die Wunden "in echt" auch echt weh tun würden, setzt auch ein gewisser gedanklicher Prozeß ein. Beispielsweise wird einem klar, daß auch ein siegreicher Kampf für den Sieger mit Verlusten und/oder Verwundungen verbunden ist. Richtig reflektiert _senkt_ das durchaus das Bedürfnis, sich z.B. an einer Schlägerei zu beteiligen. Das ist übrigens nicht nur LARP-typisch, und gilt nicht nur für die "schlechte Seite". Auch in der romantischen Erzählung wird verklärt - die Verliebtheit zur "wahren Liebe", die in der Praxis im Mittelalter typische Vernunft- und Machtehe zu holden Prinzen, die tugendhafte Prinzessinnen bis an ihr Ende lieben. Sorry, Leute. Die Wirklichkeit sieht auch da anders aus, und nicht viel lustiger als Verwundete im 2. WK - eine Menge Prinzessinnen sind so um 14 rum an weder hübsche noch tugendhafte "Prinzen" zwangsverheiratet worden, um Bündnisse zu schmieden oder Machtbereiche auszudehnen, und statt ewiger Liebe hatten sie einen männlichen Thronfolger zu gebären, danach waren sie unwichtig. Auch Star Trek verklärt auf seine Weise.
Das ist bei allen Arten von Geschichten (und LARP ist ja am Ende interaktives Geschichtenerzählen) durchaus üblich. Man müßte die Frage also viel allgemeiner Stellen.
Für meinen Teil ist die Antwort einfach: In der echten Welt, mit all ihren schönen und schlimmen Dingen lebe ich schon. Die brauche ich nicht zu spielen. Für's Spielen gib' mir also eine Welt, die gut spielbar ist, und erst in zweiter Linie "realistisch". Wenn ich 100% Realismus will, gehe ich auf die Straße. Tom
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