Meinung Immersion
Am 23.07.2006 schrieb ich im Larpforum.com einen Beitrag mit dem Titel Rollenspiel am Computer und in der Realität in dem es (auch) um Immersion ging. Ich stelle diesen Beitrag hier nocheinmal als LarpMeinung ein.
Basierend auf meinen zwei Ausführungen im Thread "Hexenverbrennung IT" Post 1 Post 2 lasse ich mich hier über den Unterschied zwischen Rollenspiel am Computer und in der Realität (i.e. "LARP") aus...
Obwohl sich insb. MMORPGs wie z.B. "World of Warcraft" u.a. "Rollenspiele" (RPG) schimpfen, kann ich - als Außenstehender - keinerlei Rollenspiel erkennen.
Robert Waldhans schrieb im Larpinfo-Forum Was haben WOW und LARP gemeinsam...... IMHO garnichts!
Während es erklärtes Ziel des LARP ist, eine Rolle zu spielen - wohlgemerkt nicht per definitionem, sondern aus dem impliziten Zwang heraus, eine Spielfigur darzustellen, die sich vom Spieler signifikant unterscheidet - verhalten sich die "Avatare" (d.h. die Vertreter des Spielers innerhalb der virtuellen Spielwelt) genau wie ihre Spieler selbst auch. Das äußert sich allein schon dadurch, dass dort rein OT gechattet wird (IMHO kann man WoW somit auch als grafisch aufgemotztes IRC ansehen) und sich dort eines Slangs bedient wird, den ein Nicht-Eingeweihter überhaupt nicht mehr versteht. Das Spielziel im MMORPG wird auf die Lösung von Quests reduziert, teilweise sogar noch nicht mal mehr das, sondern rein auf das Killen anderer NSCs oder gar Spieler (PvP). Okay, man mag einwenden, dass das viele Spieler im LARP auch betreiben, aber woher kommt das denn? Meiner Meinung nach doch nur durch DasDunkleErbe. Dabei geht es doch nur darum, den eigenen Charakter "hochzuleveln", zu "farmen" oder zu "raiden". Spielen Narativisten keine MMORPGs oder wird es aus reiner Konsumhaltung den Programmiern überlassen, eine Story zu erzählen? Wird sowas überhaupt erwartet? Ist das notwendig? Oder geht es sowieso nur um's Auf's-Maul-hauen?
Sicher, das alles gibt es auch im LARP. Der entscheidende Unterschied hier ist das Stichwort "Immersion". Damit meine ich, wie stark jemand in die Spielwelt eintaucht. Die Wikipedia kennt auf der Seite virtuelle Realität virtuelle Realität vier verschiedene Ebenen der Immersion:
- player - Die Spielfigur ist ein Mittel zur Beeinflussung der Spielwelt.
- avatar - Die Spielfigur ist ein Repräsentant des Spielers in der Spielwelt. Spieler sprechen in der dritten Person über die Spielfigur.
- character - Computerspieler identifizieren sich mit der Spielfigur und sprechen in der ersten Person über sie.
- persona - Die Spielfigur ist Teil der Identität des Computerspielers. Er spielt keine Figur in einer virtuellen Welt, er ist selbst in einer virtuellen Welt.
Während sich LARPer irgendwo zwischen "avatar" und "character" bewegen dürften, kommen die meisten MMORPGler nicht über "player" hinaus. Da werden andere Spielfiguren umgesäbelt, was die linke Maustaste hergibt. Im LARP ist das nicht ganz so einfach - der andere Wert sich und hat meistens einen gesunden Menschenverstand oder zumindest doch (wenn es nicht gerade ein NSC ist) einen natürlichen Überlebenswillen eingebaut. Am Computer braucht man sich keine Gedanken über die Konsequenzen des eigenen Handelns machen - Computer aus und schon ist alles vergeben und vergessen. Womöglich ist das auch so von den Machern gewollt... der kleine Gute-Abend-Raid soll ja Spaß machen und nicht philosophische Dilemmata erörtern. LARP dagegen bietet eine wesentlich komplexere Spielumgebung mit feinen Nuancen und größerer Handlungsfreiheit.
Was immer bei Powergamern bemängelt wird, ist doch, dass sie letztendlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Sei es nun, weil die SL nicht genug NSCs für die Stadtwache übrig hatte und der nette chaotisch-neutrale Spieler kurzum den Haupt-NSC umlegen konnte oder weil die Barbarentruppe den Wirt mit Hilfe von Gewaltandrohung sehr schnell zur Herausgabe des gesamten Biervorrates überreden konnte. Bei allen Situationen bemerken wir die Abwesenheit von Moral. Nun, darüber habe ich mich bereits im Larpwiki-Artikel MoralimLarp zur Genüge ausgelassen.
Ich bin nun der ketzerischen (?) Meinung, dass diese Spaßfraktion im Sinne eines simulationistischen Spielansatzes eine Schocktherapie verdient hat. Die ach-so-coolen "Battlefield 1942" Spieler würden dann vielleicht kleinlaut, wenn sie ein WW2-LARP mitmachen würden (ja, sowas gibt es - wenn auch nicht in Deutschland). Der Einzug zur Bundeswehr reicht da nicht. Und vielleicht würden es sich ein paar Leute überlegen, jemanden umzuschnetzeln, wenn ihre Klamotten danach mit Kunstblut versaut wären? Am Computer ist der Tod absolut antiseptisch, die Leichen verschwinden nach ein paar Sekunden und lösen sich in Luft auf - im LARP seltsamerweise auch, schließlich braucht die SL die NSCs für die nächste Welle. Aber vielleicht ist genau da der Knackpunkt, dass die Darstellung eben nicht realistisch genug ist, dass die Spieler nicht weit genug in die Spielwelt eingetaucht sind. Darum bin ich der Meinung, dass eine vollständige Immersion (die am Computer von vornherein unmöglich ist) dem Spiel eigentlich nur zuträglich sein kann.
Denn das OT-Wissen, dass die Leute natürlich gleich wieder (OT) aufstehen spukt ständig im Hinterkopf herum. Also auf zur nächsten Orkwelle...
Section31, 25.02.2007
Dieser Artikel trifft auf die meisten WoW Spieler (und davon "inspirierte" LARPer) zu, aber es soll noch Server geben, auf denen tatsächlich Leute den Status "Avatar" oder gar "Charakter" erreichen und zumindest versuchen, Rollenspiel zu betreiben. Auch solche Charaktere erreichen durchaus Level 80, aber eher aus der Motivation heraus, dass manche tollen Klamotten/Panzerteile/Gadgets unterhalb des Mindestlevels nicht benutzbar sind. Zugegeben, die Mehrzahl der aktiven WoW Spieler SIND Nerds, genauso, wie Section31 beschreibt und bemängelt, aber nicht alle. Es gibt noch Hoffnung
Qris 08.02.2010
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