Feuerwaffen im Liverollenspiel
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Es kommt in diversen LarpForen immer wieder zu Diskussionen über Feuerwaffen im Fantasy-LARP. Es ist offenbar eine GeschmacksSache, ob man sowas will oder nicht. Das übliche Fantasy-Bild aus Romanen und Rollenspielen scheint meist keine Feuerwaffen zu enthalten, auch wenn diese an ein Pseudomittelalter angelehnt sind, weshalb es nun gewisse Leute stört, dass dieselben irgendwo an Liverollenspielen auftauchen.
Die Befürworter berufen sich zumeist auf vereinzelte Verwendung von Schwarzpulver und Feuerwaffen in Fantasy-Literatur (z.B. "Der Hobbit") und PnP-Rollenspiel (z.B. Warhammer) sowie auf historische Fakten. Die Kritiker argumentieren zumeist vorwiegend mit dem subjektiven Verständnis von Fantasy. Viele Leute finden, dass Plattenpanzer halt in eine Fantasy-Welt passen, Feuerwaffen jedoch nicht. Das ist keine Sache der Logik, sondern des Geschmacks. Es kommt dementsprechend auch vor, daß z.B. Pistolen abgelehnt werden, Kanonen jedoch nicht.
Nicht selten sind Leute erstmal skeptisch, dann aber, sobald sie die Dinger in Aktion erlebt haben, eher neugierig bis begeistert davon.
Das gilt vor Allem für die Sicherheitsbedenken, die viele LARPer äußern, wenn sie in LarpForen von diesen Waffen hören. Die meisten sind schnell von der Sicherheit überzeugt, wenn sie die Spielzeuge in Aktion erleben.
Eine weitere Debatte dreht sich um die Mächtigkeit der Feuerwaffen im Spiel. Viele Kritiker befürchten, von den Geschützen spieltechnisch "überpowert" zu werden. Die Befürworter argumentieren damit, daß Ladezeiten und Präzision dazu gar nicht geeignet sind. Die Debatte eskaliert zuweilen zu gegenseitigen Vorwürfen, man würde GewinnenWollen.
Ein letzter Kritikpunkt, auch von Leuten, die Feuerwaffen in Einzelfällen tolerieren würden, basiert auf der Befürchtung, FeuerWaffen könnten mit der Zeit so viele Nachahmer finden, irgendwann das Fantasy-Ambiente durch die reine Menge gestört wird und nicht mehr alle, die Feuerwaffen haben wollen, mit ausreichender Verantwortlichkeit auf die Fragestellungen Sicherheit, SpielBalance und Ambiente eingehen. Auch hier argumentieren die Befürworter damit, daß die technischen Nachteile auch durch erhöhte Schadenwerte und dergleichen nicht genügend wettgemacht werden können, um diese Art Waffen für die breite Masse attraktiv zu machen.
Historischer Hintergrund
Die Frage, ob Schwarzpulverwaffen MA-historisch korrekt sind oder nicht, ist eindeutig zu beantworten.
Das Schwarzpulver wurde schon im 8./9.Jh in China erfunden wurde und es taucht im Hochmittelalter in Europa auf (die Mär, der Mönch Berthold Schwarz hätte es im 14 Jh. erfunden ist falsch, tatsächlich wird es von Roger Bacon schon 1242 beschrieben). Eine andere Quelle sagt, um 1241 sei bei der Schlacht von Liegnitz zum ersten Mal Schwarzpulver eingesetzt worden. Damit ist das Schwarzpulver (und vielleicht sogar die Kanone) älter als sämtliche Rüstungen die irgendwo größere Metallplatten dranhaben -- Die Plattenrüstung (mit Brustplatte, wie man sie kennt) taucht erst um 1400 auf -- Jahrzehnte vorher, um 1340 sind schon Pulverfabriken (z.b in Strassburg) belegt. Das halbe Mittelalter hindurch wurde also mit Pulver geschossen. Die ersten Handfeuerwaffen tauchen im 14. Jh. auf, als Stangenbüchsen (Stock mit Rohr in der Verlängerung) und als Hakenbüchsen (Holz mit aufgesetztem kurzen Rohr). Beide mit Luntenzündung. Im 15. Jh gibt es dann schon Arkebusen, welche aussehen wie ein modernes Gewehr und mit Luntenschloss (aber oft von der Schulter abgefeuert werden). Bei den Kanonen tauchen im 13. Jh. zuerst Legestücke auf, dann Mörser, und gegen Ende des 14. Jh. dann auch Kanonen mit Lafette, sprich, fahrbar. Die Kanonen verschießen übrigens sämtliche Steinkugeln (oder auch Nägel u.ä. als Schrapnell).
Kanonen wurden im Mittelalter Seite an Seite mit anderen Belagerungswaffen eingesetzt, wurden im Verlauf des Mittelalters immer wichtiger, allerdings erst im 16. Jh. wirklich kriegsentscheidend. Schützen von Hakenbüchsen und Arkebusen waren zusammen mit den Armbrustschützen in derselben Einheit, und werden ebenfalls Seite an Seite genannt. Um 1470 herum bestand eine typische Schützeneinheit zur Hälfte aus Armbrustschützen und zur Hälfte aus Arkebusieren. Die Zuverlässigkeit der Feuerwaffen war nicht wirklich groß, das Hauptproblem war die Nässe. Bei Regen könnte sozusagen nicht geschossen werden. Ab und zu explodierte auch ein Geschütz (im Laufe der Zehnmonatigen Belagerung von Neuss explodierte von ca. 300 Geschützen ein einziges, allerdings mit 18 Toten). Weitere Probleme sind die geschmiedeten Läufe, welche nicht beliebig oft hintereinander feuern konnten, ohne zu überhitzen.
Waffenrecht
Der Umgang mit FeuerWaffen muss im Rahmen der Gesetze, insbesondere des Waffenrechts, erfolgen.
Realisierung im Liverollenspiel
Gummibandpistolen und -arquebusen
Oschenheimer verwenden auf eigenen Cons und anderswo, wo die Orga es zuläßt, Nachbildungen von frühen Radschloßpistolen und Arquebusen, die Gummibänder verschießen und dabei einen Zugkracher auslösen. Man muß den Hahn öffnen, den Kracher festnesteln, das Gummiband einlegen und den Hahn wieder schließen. Wenn es nicht knallt oder kein Gummi fliegt, war's ein Patzer. Flugweite ist 5-10 m, je nach Spannung des Gummis. Die Präzision ist bei Entfernungen bis fünf Meter recht gut, allerdings lohnt es sich fast nur auf Ziele zu schießen, die einen dabei ansehen, da ein Treffer sonst kaum bemerkt wird. Ein ausführlicher Erfahrungsbericht findet sich unter BandGunPraxis.
Da Oschenheim nicht einmal am Spätmittelater sondern an Renaissance und Reformationszeit orientiert ist, finden wir Feuerwaffen nicht im Geringsten unpassend. Der Sicherheitsaspekt ist auch unproblematisch, da der Gummiring unmittelbar nach Abschuß auffächert und mit geringer Energie fliegt. Die "Mächtigkeit" im Spiel ist aufgrund der hohen Ladezeit, der geringen Reichweite und mäßigen Treffsicherheit, sowie der recht hohen Fehlschlagsrate deutlich unterhalb der einer Polster-Salami.
Seiten zu dem Thema:
Böllerkanonen
Echte Schwarzpulverwaffen sind eine ganz andere Sache. Realisiert werden sie mit einem 20 cm langen Lauf, an dessen hinterem Ende ein handelsüblicher Kracher eingeführt wird, und vorne ein Schaumstoff-Tennisball (Gewicht ziemlich genau 10g) reingestopft wird. Der Kracher wird gezündet und wirft denn Ball ca. 20-40 m weit raus.
Das Problem austretender Kracherbestandteile wird leicht umgangen, indem der Kracher senkrecht im Rohr steckt und z.B. die Tonerde-Pfropfen, die die Kracherenden verschließen, bei der Explosion gegen die Rohrwand und nicht aus dem Rohr fliegt. Videoaufnahmen in Slow Motion zeigen, dass lediglich einige Papierfetzen aus dem Rohr kommen und bereits nach wenigen dm zu Boden fallen. Man sieht auch nach mehreren Schüssen, wenn man das Rohr ausleert, dass der Großteil der Kracherreste im Rohr verblieben sind.
Unabhängig von Sicherheitsbedenken und Gefährdungen: Rein rechtlich setzt man sich mit diesem Vorschlag eventuell in die Nesseln, da man nach Schusswaffenrecht (oder wie auch immer das heißt, bin kein Jurist. Dies ist auch KEINE Rechtsauskunft!) möglicherweise eine tatsächliche Schusswaffe gebaut haben könnte! Sollte also was schief gehen (was ja immer passieren kann), dann könnte man ein Problem haben, das sich als durchaus groß herausstellen könnte. Glaube ich. (Das schwammige Herumgedruckse bitte drin lassen, für eine wirkliche, verbindliche, zuverlässige Antwort sollte man einen Anwalt fragen!)
Sicherheit
Die Schaumstoffgeschosse sind sicherer als jede Liverollenspiel-Armbrust, Bogen oder Ballista. Ein Volltreffer aus kurzer Entfernung ist nicht schmerzhafter als wenn einem jemand so einen Ball anwirft, und kann aufgrund von fehlenden harten Teilen keine weiteren Verletzungen anrichten. Außerdem ist die Kanone (oder Hakenbüchse) weniger gefährlich als eine Ballista, weil ihr die beweglichen Teile fehlen. Das wirklich Gefährliche an Ballisten sind die Arme, die locker jemanden umwerfen können (schon geschehen, zum Glück hatte der Betroffene einen Helm auf).
Mächtigkeit
Hakenbüchsen und Kanonen im Liverollenspiel sind schwer limitiert. Schrapnell zu verschießen kommt nicht in Frage, ergo kann man höchstens eine Person auf einmal treffen. Die Nachladezeit ist hoch (Schussfrequenz ca. 2 Schuss pro Minute). Und im Gegensatz zu einer Ballista kann man den genauen Schusszeitpunkt nicht bestimmen, weil der Kracher mit einer Zündschnur versehen ist. Die im Vergleich zu Ballistabolzen leichteren Schaumstoffbälle haben auch größere Probleme mit Wind. Das führt dazu, dass eine kleine Ballista (z.b. diese ArrowCaster übergroßen Armbrüste, Schussfrequenz 3-6 Schuss pro Minute) viel "mächtiger" ist.
Stil
Nachdem im Fantasy-Liverollenspiel die Leute sowieso mit einer bunten Mixtur von Kleidern und Rüstungen und Waffen mehr oder weniger historisch angelehnter Machart herumlaufen (und zwar -300 bis 1800!), sehe ich keine Probleme mit korrekt mittelalterlichen Geschützen oder Hakenbüchsen aufzutreten. Es sei denn, man möchte den Zeitrahmen enger setzen, so auf 1240 und früher, aber dann müsste man aber genauso auf Plattenrüstungen, Zweihänder und die meisten Stangenwaffen verzichten.
Und so siehts aus
- Kanonen:
- Hakenbüchse:
- Bombarde:
- und ein Falkonett:
Fotos aus der Bauphase und ein Video einer Schußprobe
- Burgundische Feldschlange, Kammergeschütz:
Bau und Einsatz der "Joceline"
Fazit
Feuerwaffen können eine Bereicherung sein. Es macht einfach Spaß, wenns knallt und raucht. Und für manche gehören sie untrennbar zum Mittelalter dazu. Vor allem für Spätmittelalter-Fans passen sie genauso ins Bild, wie Hellebarden und Plattenrüstungen.
Auf kleineren Cons entscheidet selbstverständlich jede Orga für sich, ob sie solche Waffen zulassen möchte und GrossCons funtionieren ohnehin nur, wenn alle Spieler Toleranz gegenüber Konzepten üben, die nicht unbedingt zu Ihrem eigenen Stil passen.
SeeGras, SaschaPammesberger (WolfenEcker Kanonenschmied), CarstenThurau, DirkL, RalfHüls (ed.)
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